Daniel Barenboim ist großartig. Das Orchester der Staatsoper auch. Und Wolfgang Koch singt einen wirklich überzeugenden Hans Sachs, der in Kwangchul Youn als Pogner, Klaus Florian Vogt als von Stolzing und Julia Kleiter als Eva wunderbare Partner in der Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ hat. Ganz zu schweigen von den anderen Darstellern der Meistersinger und dem Chor. Sie spielen ihre Rollen mit Witz so gut, dass der Gesang die Wirkung nicht vollständig dominiert. Aber dennoch ist die Inszenierung von Andrea Moses nicht ganz stimmig.
Sie nimmt den Text von Richard Wagner zwar ernst. Sie setzt den steten Bezug auf die guten deutschen Handwerker und Meister, indem sie das Nationale in Szene setzt. Schwarz-Rot-Gold ist immer zu sehen. Das Johannisfest der Oper wird zu einem deutschen Nationalfeiertag. Das Gesanges-Wettstreit um die schöne Eva wird zu einem ziemlich deutschen revolutionären Fest, bei dem das Neue über das Alte siegt, weil es die Tradition bewahrt, aber nicht alles umstürzt. Das ist alles stimmig. Und es ist noch dazu komisch.
Aber die ständigen Bezüge auf Berlin funktionieren nicht. Wenn im Libretto Nürnberg so das ziemlich am häufigsten genannte Substantiv ist, dann wirkt es sehr befremdlich, wenn der Wettstreit um die Braut vor der Kulisse des wieder aufgebauten Berliner Stadtschlosses stattfindet. Das ist eine seltsame Reminiszenz an den Berliner Aufführungsort, die genauso aufgeht wie die Fahnen und Fans von Hertha BSC und Union Berlin beim großen Tumult in der Johannisnacht am Ende des 2. Aktes. Und das vor einer riesigen spiegelverkehrten Leuchtschrift mit dem Wort „Nürnberger“. Warum sollen sich Union- und Hertha-Fans in Nürnberg kloppen? Wenn schon, dann sind das Club- und Fürth-Fans (übrigens kommen im Text auch Fürther Junfern vor). Andrea Moser zerschreddert aus Effekthascherei oder Berliner Liebedienerei ihre eigene Idee.
Was haben Stadtschloss und diese Berliner Fan-Fahnen in Nürnberg zu tun? Ist Berlin so sehr Provinz, dass man es Nürnberg gleichsetzen kann? Oder ist in Nürnberg nationaler Taumel weniger vorstellbar und unwahrscheinlicher als in Berlin? Wenn man vom Ort der Handlung abstrahiert, dann darf man ihn nicht auch noch mit Leuchtschrift massiv in den Blick rücken. Und das noch völlig ohne Grund. Denn die Fragen, die Wagner in den Meistersingern verhandelt, lassen sich auch in Nürnberg stellvertretend für ganz Deutschland in Szene setzen. Und die Art, wie diese Meistersinger aufgeführt werden, haben so viel Charme und Witz und Kraft, dass die Berliner Kaspereien wirklich nicht nötig sind.
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