Am Anfang ist nur ein Gerücht. Und doch kann dieses Gerücht das ganze Leben des Lehrers, aus dessen Perspektive Norbert Gstreins „Eine Ahnung vom Anfang“ geschrieben ist, in Frage stellen. Tatsächlich wird auf dem Bahnhof der österreichischen Provinzstadt eine Bombe gefunden. Aber wer sie deponiert hat, ist keinesfalls bekannt. Nur Erinnerungen an einen ehemaligen Schüler, der anders war als die anderen Schüler. Genau deshalb trauen ihm viele im Ort die Tat – die letztlich nicht ausgeführt wird – zu.
Norbert Gstrein nimmt den Leser tief in die Gedankenwelt des Lehrers mit, der auf seinem Grundstück am Fluss einen Sommer mit Daniel und dessen Freund verbrachte. Sie lasen viel. Der Lehrer hatte die Bücher empfohlen. Sie fischten und schwammen im Fluss. Der Sommer hat etwas Leichtes, das allerdings die Umgebung ganz anders wahr nimmt als die Beteiligten. Schließlich ist es nicht normal, wenn ein Lehrer so viel Zeit mit Schülern verbringt. Das ist der Nährboden für Gerüchte. Norbert Gstrein zeigt, wie diese Gerüchte vom Lehrer Besitz ergreifen, weil die ungeklärte Bombenablage ihn selbst umtreibt. Auch er fragt sich, ob Daniel es gewesen sein könnte. Er durchforstet sein Gedächtnis, seine Erinnerungen, seine Gefühle und lässt sich immer tiefer in einen Strudel von Zweifeln und Selbstzweifeln ziehen.
Daniel ist tatsächlich nicht wie andere. Er hat einen Hang zu Religiosität und moralischen Rigorismus. Er kommt mit dem Leben nicht klar, probiert immer wieder Neues aus und wird doch kein normaler Mensch, der eine Ausbildung macht und danach in den Beruf, eine Beziehung und vielleicht sogar eine eigene Familie eintaucht. Wie Norbert Gstrein das aus der Sicht des Lehrers erzählt ist fesselnd. Der Zweifel des Protagonisten wird zum Zweifel des Lesers. Er selbst wird Träger des Gerüchts, der Unschärfen, die uns alle viel zu schnell urteilen lassen. Dem Leser bleibt nichts anderes übrig, als sich selbst die Frage zu stellen, wo die eigene Grenze zwischen Moral und Bequemlichkeit verläuft. Und welche Fehler man selbst gemacht haben könnte, die andere Menschen eventuell beeinflusst haben. „Eine Ahnung vom Anfang“ ist ein Meisterwerk im Konjunktiv: verwirrend und doch ganz klar in Struktur und Ziel.