Das Mädchen hat keinen Namen. Nur ein „Ich“ der Erzählerin. Die Geschwister und die Freunde des Mädchens dagegen haben Namen. und damit etwas ganz entscheidendes für die Definition von Individualität. Angelika Klüssendorf arbeitet sich in ihrem Roman „Das Mädchen“ am Schicksal dieses Mädchens ab. Kein Wunder, ist das Leben des Mädchens doch die autobiografische Vorlage für das Buch.
Die Mutter des Mädchens säuft. Der Vater des Mädchens nimmt es in einer Krise auf, will sein eigenes Leben verändern. Aber auch bei ihm ist der Alkohol das wichtigste im Leben. Das Mädchen wird verdroschen. Das Mädchen flüchtet sich in Lügen und gefährliche Spiele. Schließlich muss das Mädchen in ein Kinderheim. All das spielt in der DDR. Und doch ist das bei dieser Geschichte nicht wichtig. Das Mädchen selbst steht im Mittelpunkt. Der staatliche Bezug ist eher der Hintergrund.
Was Angelika Klüssendorf in diesem Roman malt, erinnert an die Arbeit einer Bildhauerin. Da ist ein Stein, der behauen werden muss, um das Kunstwerk hervorzubringen. „Das Mädchen“ ist ein Kunstwerk, das das Leben dieses Kindes wie unter den von Hammerschlägen in die Härte der Erinnerung hineingetriebenen Meißel freilegt. Die Sprache ist frei von allem Überflüssigen. Die Sprache ist spröde wie Stein. Und doch bringt sie das Schmerzhafte des Lebens dieses Mädchens so klar und leuchtend zum Ausdruck.
Leser müssen einiges aushalten. Aber sie kommen dafür mit einem wunderbar stolzen Kind in Berührung, das trotz der Narben der Prügel und psychischen Grausamkeiten der Eltern – und manchmal auch der Erzieher – seinen Weg geht. Ein beeindruckender Text. Ein Meisterwerk der Reduktion.
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