Nach den ersten 250 Seiten spielt der beeindruckende Umfang von „Wer wir sind“ keine Rolle mehr. Sabine Friedrich erzählt immer eine konkrete Szene, um dann zu einer ganz anderen zu wechseln. Dabei überspringt sie Jahre, dabei wechselt sie Schauplätze. Die nächste Szene mit anderen Menschen aus dem Widerstand ist wieder ganz konkret. Wieder wird sie in der Gegenwart erzählt und wieder ist die Szene abgeschlossen.
So reiht sich eine Begebenheit an die andere, so verwebt sie das Leben der Akteure der „Roten Kapelle“ zu einem erstaunlich dichten Gewebe. Selbst wenn man angesichts der vielen Namen manchmal den Überblick zu verlieren droht – oder gar verliert, ist es nicht schlimm. Denn schon die nächste Szene eröffnet eine neue Perspektive auf die Menschen, die sich mit Hitlers Diktatur nicht arrangieren wollten oder konnten.
Erstaunlich, wie viele Beamte und Juristen im Widerstand eine wichtige Rolle spielten, so wie Hans von Dohnanyi. Er diskutierte mit Kollegen und Vorgesetzten im Oberkommando der Wehrmacht recht offen über seine Sicht auf Hitler. Auch Arvid von Harnack, Oberregierungsrat im Wirtschaftsministerium, ist Jurist. Was sie antreibt, wenn sie ausländischen Botschaften wichtige Informationen zukommen lassen, wird in Sabine Friedrichs Buch einfach und klar verständlich – und auch welches Risiko sie dabei eingehen.
Auch die zweiten 250 Seiten sind also nicht langweilig. Sie lesen sich schnell. Und auch sie sind mit ihrer Bandbreite von Verliebtheit bis Zwangsarbeiter-Elend so emotional anrührend, dass das Weiterlesen ein unbedingtes Muss ist.
Mehr „Wer wir sind“:
1 Ein verblüffend leichter Einstieg
3 Das Ende der Roten Kapelle
4 Wie Rote Kapelle und Kreisau verbunden sind
5 Der Weg nach Kreisau
6 Zwischen Kreisauer Idylle und Morden in Russland
7 Das Attentat
8 Wut und Trauer über das Scheitern
Sabine Friedrich überzeugt im Berliner Literaturhaus