Ganz Deutschland ist gestern auf der zentralen Gedenkfeier für die Neonazi-Morde bewusst geworden, dass wir alle die Opfer ganz schnell vergessen. Der Vater eines Ermordeten forderte, dass in Kassel eine Straße nach seinem ermordeten Sohn benannt werden solle. Jeder im Saal und an den Fernsehgeräten konnte diesen Gedanken verstehen und nachvollziehen.
Ebenfalls gestern tagten die Stadtverordneten in Eberswalde. Mehr als 1000 Bürger forderten die Umbenennung einer Straße. Sie soll den Namen Amadeu Antonios tragen, um an eines der ersten Todesopfer neonazistischer Gewalt nach der friedlichen Revolution zu erinnern. Doch der Bürgermeister verhindert die Abstimmung. Er will erst noch ein Gedenkkonzept erarbeiten lassen. Die große Chance auf ein eindeutiges Signal der Trauer und des Gedenkens hat Eberswalde damit verspielt. Leider. Die Umbenennung der Straße hätte schließlich auch der Auftakt für die Arbeit an dem Konzept sein können. So bleibt nur Unmut, Unverständnis und ein schaler Nachgeschmack.
Dieser Kommentar ist am 24. Februar 2012 von Antenne Brandenburg gesendet worden.
Ein Debüt-Roman aus dem Nachlass ist eine seltsame Sache. Der Autor wird schon seine Gründe gehabt haben, dass das Buch nicht erschienen ist. Das gilt auch für die schon spektakulär zu nennende Veröffentlichung des ersten Buches von Jack Kerouac und William S. Burroughs.
„Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“ ist nicht nur ein erstaunliches Debüt. Es ist vor allem ein Roman von zwei Autoren, die beide zu den wichtigsten der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts gehören. Zusammen mit Allen Ginsberg sind sie die Vertreter der Beatniks. Sie haben mit ihrem konsequenten Leben abseits des US-Mainstreams einer ganzen Generation gezeigt, dass Karriere, Wohlstand, Glaube und Familie nicht die Grundlagen für ein erfülltes Leben sein müssen.
Beide erzählen aus ihrer eigenen Perspektive von einem Ereignis, das sie selbst erlebt haben. Burroughs nennt sich Will Dennison, Kerouac wählt den Erzählernamen Mike Ryko. Durch die Doppelperspektive beleuchten sie die letzten Tage von Al. Der ist unsterblich in Philipp verliebt und nervt ihn damit. Philipp möchte sich Al entziehen, indem er sich mit Ryko als Matrose einschiffen will, um von New York nach Europa zu fliehen.
Die Leser lernen den Freundeskreis dieser Bohemians kennen, die in der Phase des späten Zweiten Weltkriegs zwischen Universität und Alkohol, zwischen Kunstprojekten und Drogen die Tage und Nächte zubringen. Ganz wichtig sind dabei die erstaunlich oberflächlichen Beziehungen zwischen schwulen Männern, aber auch die zwischen Männern und Frauen. Der Titel des Buches ist ein Zitat aus einem Zeitungstext, das die schwül-überhitzte Atmosphäre des Freundeskreises auf den Punkt bringt.
Burroughs und Kerouac schaffen es, durch ihre konsequent subjektive Perspektive dem Geschehen einen jeweils anderen Ton zu geben. Das geht bis hin zur Ermordung Als durch Philipp. Auch das ist tatsächlich passiert. Am 14. August 1944 er¬stach ein gewisser Lucien Carr einen David Kammerer. Und anschließend ging Lucien Carr zu den Freunden Burroughs und Kerouac, um Hilfe und Trost zu suchen.
Die beiden Autoren haben diese Geschichte zu einem Roman verarbeitet. Dabei bleiben sie nah am Geschehen. Dennoch verdichten sie die Atmosphäre zu einem erstaunlichen Stück Literatur.
Dass ihr Debüt erst jetzt erschienen ist, hat nicht mit minderer Qualität zu tun. Burroughs und Kerouac verzichteten zu ihren Lebzeiten auf die Veröffentlichung aus Rücksicht auf Lucien Carr alias Philipp. Denn der wurde nach einer Haftstrafe ein erfolgreicher Journalist. Doch zum Glück wurde das Manuskript nicht vernichtet, sondern 40 Jahre nach dem Tod Kerouacs und zwölf nach dem von Burroughs veröffentlicht.
William S. Burroughs / Jack Kerouac: „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“, Nagel & Kimche, Zürich 2010, 190 S., 17,90 Euro MOZ-Rezension…