Die Liebe des FCN zum Olympiastadion

Das Stadion ist ja eigentlich ein Stimmungskiller. Nirgendwo ist man weiter weg vom Spiel. Die Akustik ist miserabel – selbst die  lautesten Fangesänge verflüchtigen sich im weiten Rund des Berliner  Olympiastadions. Und dennoch ist es immer ein besonderes Fest, wenn der Club in Berlin spielt.

Das Pokalfinale 2007 gegen den Stuttgart war sicherlich das beste und aufregendste Spiel des FCN, das ich im Olympiastadion gesehen habe. Aber auch der Sieg gegen die Hertha, der den Hauptstadtclub Richtung 2. Liga brachte, war nicht schlecht. Das lag aber viel mehr am Spiel selbst als an der Stimmung, für die das Stadion eben kein guter Resonanzkörper ist. Ganz außergewöhnlich war die Freude, die Begeisterung beim Kellerduell 2010. Wie der Club durch das Tor in der Schlussminute durch Charisteas nach der Vorlage von Gündogan gewonnen hat, ist ein unvergesslicher Moment. Der Jubel der Clubberer, das Entsetzen der Herthaner, die Erleichterung bei mir – einfach großartig.

Genauso wie heute, als Nürnberg der Hertha wieder drei Punkte weg nahm. Als die Fans die Meisterschaft von vor 90 Jahren feierten. Als Josip Drimic einen Elfmeter verwandelte und davor schon wunderbar abstaubte – und damit in die Spitzengruppe der Bundesliga-Torschützen aufschloss. Als es wieder einmal Turbulenzen in Schäfers Strafraum vor der Ostkurve gab – und die Hertha-Fans wieder Raphael Schäfer auspfiffen, so oft es nur ging. Der sich aber nicht wirklich aus der Ruhe bringen ließ.

Wieder einmal hat der Club gewonnen. Wieder einmal ist die Stimme weg. Wieder einmal habe ich mich über die brutalst mögliche Kommerzialisierung des Fußballs geärgert, die man sich denken kann. Denn darin ist die Hertha Meister. Jetzt sogar mit Kapitalbeteiligung einer Heuschrecke von der Wallstreet. Zumindest in der Ablehnung dieser Beteiligung sind sich die Ultras in blau-weiß und rot-weiß einig. Auch das ist ein schönes Erlebnis in diesem Stadion, das dem Club so liegt. Und mir schon so viele schöne Auswärtssiege direkt vor der Haustür bescherte. Es ist eben eine besondere Liebe, die der Club zum Olympiastadion pflegt.

Galataseray gegen Siva Spor in der Türk Telekom Arena


Das Spiel beginnt nicht erst im Stadion. Schon zwei Stunden vor Anpfiff sammelt sich eine große Menge Ultras von Galataseray in der Istiklal, der Fußgängerzone in Beyoglu. Dort wo die große Einkaufsmeile einen Knick macht, ist ein riesiges Tor. Hinter ihm befindet sich das Galataseray-Gymnasium. Die private Schule gehört tatsächlich dem Verein und ist insofern ein guter Ausgangspunkt für den Aufbruch zum Stadion.

200 bis 300 Fans stimmen sich mit Gesang und Bier ein. Ersteres wird im Stadion weitergehen, letzteres nicht. Denn die aggressivste Stimulanz dort wird der türkische Tee sein. Als geschlossene, singende Gruppe ziehen sie zum Taksin, um dort in die U-Bahn zu steigen. Wie friedlich und froh das ist, zeigen die entgegenkommenden Istanbuler. Strahlende Gesichter und immer wieder Lippen, die sich bewegen, die still oder laut die Lieder der Fans mitsingen.

Die U-Bahn ist überfüllt. Die Fans quetschen sich in die Züge. Auch dabei sind sie alle gut gelaunt. Das gilt auch für den Weg vom Bahnsteig bis ins Stadion. Obwohl eine Baustelle die Masse zwingt, mindestens 200 Stufen auf einer vier Meter breiten Treppe mit einer 90-Grad-Kurve nach der anderen herunterzugehen, ist die Stimmung von froher Erwartung geprägt.

Nur eins stört die Harmonie. Bei der Rucksack-Kontrolle beim Einlass nimmt mir die Polizei meine Erdnüsse weg! Und das, obwohl der Polizist, der untröstlich ist, gar nicht genau hinschaut. Aber diese wunderbaren, großen, gesalzenen Erdnüsse mit der braunen Innenschale schmeißt er unerbittlich in den Mülleimer. Nahrungsmittel dürfen nicht mit ins Stadion. Schließlich soll der Caterer an den Stadionsbesuchern etwas verdienen.

Das Stadion, die Türk Telekom Arena, ist eines dieser neuen Fußballstadien, die auf Nähe zum Spielfeld und bestmögliche Akustik ausgelegt sind. Und genau die kommt in den folgenden 90 Minuten voll zum Schwingen. Denn die Fans von Galataseray sind phantastisch. Sie singen, klatschen, pfeifen, johlen – und schweigen. Aber nicht wild durcheinander, sondern in ständiger Abstimmung zwischen den großen Fangruppen in den Kurven und einer im Oberrang. Die Einpeitscher beobachten sich gegenseitig und dirigieren die Unterstützung der Fans in einer überwältigenden Art und Weise.

Dieses Stadion-Konzert ist deutlich besser als das Fußballspiel gegen Siva Spor. 2 zu 1 geht es aus. Nach einer langweiligen ersten Halbzeit folgt zwar eine aufregende zweite. Doch die ist vor allem wegen der katastrophalen Pfiffe es Schiedsrichters spannend. Er gibt Galataseray einen Elfmeter nicht, dafür aber zwei rote Karten. Zumindest eine davon hätte allerdings dem Gegner gegeben werden müssen. All das heizt die Stimmung auf und nährt den Verdacht, dass in der Türkischen Süper Lig noch immer Spiele verschoben werden (sollen). Für echte Fans ein schwer zu ertragener Zustand, der sich in großartiger akustischer Aggression – und damit in einem fulminanten Pfeif- und Sangeskonzert entlädt.

Als einmaligem Beobachter wird der Genuss so sogar erhöht. Das ist tatsächlich Unterhaltung auf dem besten Niveau. Allerdings vor allem von den Amateuren auf den Rängen, nicht von den Profis auf dem Platz.