Die erste Liebe einer jungen Frau und die ersten Verletzungen durch Männer beschreibt Karen Duve in ihrem neuen Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“. Diese Nette ist die Schiftstellerin und Komponistin Annette von Droste Hülshoff. Im 19. Jahrhundert schafft sie es, als erste Frau in Deutschland als Autorin anerkannt zu werden. Aber der Weg dahin war schwer.
Wer den Namen Annette von Drost-Hülshoff hört, denkt meist an die Novelle „Die Judenbuche“. Als Schullektüre hat sie ganz lange zum festen Kanon der Bücher gehört, die man in Deutschland gelesen haben musste. Karen Duve hat sich das Leben dieser außergewöhnlichen Frau ganau angeschaut und in ihrem Roman „Fräulen Nettes kurzer Sommer“ verdichtet. Sie zeigt den Lesern die junge Annette, von ihrer Umgebung meist Nette genannt, die sich als Autorin versicht, musiziert, komponiert und von der Familie deshalb nicht ernst genommen wird.
Ganz zentral ist in diesem biografischen Roman vor allem die Phase des Erwachsenwerdens von Nette. Im Mittelpunkt steht ein Sommer Ende des zweiten Jahrzehnts im 19. Jahrhundert. In ihm erlebt Nette das erste Mal das intensive Gefühl des Verliebtseins. Es gilt einem Freund ihres nur etwas älteren Onkels, der als das kommende Literatur-Genie gilt. Das Gefühl ist gegenseitig, aber höchst unschicklich. Denn der Dichter ist kein Adeliger und damit für die Familie Annettes undenkbar.
Und dann ist da noch der standesgemäße Freund der Familie, der von Nette sehr angetan ist. Er ist in seiner Eitelkeit gekränkt, weil sie den Dichter liebt und nicht ihn. Deshalb spinnt er einen Komplott, um die zarten Bande zu zerstören und Nette vor der Familie unmöglich zu machen. Dass Mobbing auch ganz ohne Internet und Handys funktioniert, durchleben die Leser des Buches intensiv.
Wer sich für Geschichte interessiert, wird seine Freude auch an den Parallelitäten von Geschichte und Gegenwart haben. Natürlich hat sich die Lage der Frauen im Verhältnis zum 19. Jahrhundert massiv verbessert. Aber dieses Grundgefühl der jungen Nette kennen sicherlich auch viele Frauen heute noch. Da spielen die Jahrhunderte keine große Rolle. Nur die Auswirkungen waren vor 200 Jahren ganz andere. Konvention, Patriachat und die Verachtung weiblicher Bildung beschädigten Frauen damals viel häufiger psychisch.
Karen Duve beschreibt das Leben vor 200 Jahren aber auch voller Empathie. Sie lässt die Leser die fürchterlichen Kutschfahrten auf maroden Wegen und Straßen fast körperlich erleben. Und sie schaut auf das intellektuelle Umfeld von Nettes Familie mit Hochachtung – und mit Spott. Und zwar immer dann, wenn die Bemühungen der Brüder Grimm und ihrer Freunde, das Deutsche in der Vergangenheit zu entdecken, provinziell und altbacken werden.
Dann ändert Karen Duve auch die Sprache. So
macht sie nicht nur inhaltlich darauf aufmerksam, dass schon vor 200
Jahren das rückwärtsgewandte, fremdenfeindliche Denken begann, das im
Nationalismus endete und heute wieder mit zweistelligen Wahlergebnissen
Erfolge einfährt.
„Nettes kurzer Sommer“ ist ein abwechslungsreiches, faszinierndes Buch
mit vieen Facetten. Karen Duve hat es in ihrer Wahlheimt Märkische
Schweiz geschrieben. Und sie bedankt sich bei der Nachbarschaft, ohne
deren Hilfe der fast 600 Seiten starke Roman wohl nicht fertig geworden
wäre.