Batman, Erzrum, Samsun, Adana, Trabzon, Izmir, Ankara und Istanbul waren vor sechs und sieben Jahren Stationen mehrerer Türkei-Reisen. Das Goethe-Institut hatte sie im Rahmen des Projekts PASCH – Partnerschulen vermittelt. An Schulen, die vor Atatürk-Gedenken nur so strotzten, sollte Deutsch als feste Fremdsprache etabliert werden. Und um das zu unterstützen durften Muttersprachler Theaterkurse, Musikprojekte und Workshops zum Gestalten von und Schreiben für Schülerzeitungen an eben diesen Partnerschulen abhalten. Eine bereichernde Erfahrung, die ich nicht missen will.
Aber wenn ich an die Besuche zurückdenke, erfüllt mich Sorge um die Lehrerinnen und Lehrer, mit denen ich arbeiten durfte. Etwa wenn ich an den linken, aufgeklärten Istanbuler denke, der Erdogan im Jahr 2010 beim Abendessen verteidigte. Immerhin habe der die Armee gezügelt und die Institutionen des Landes gegen Putschversuche immunisiert. Das sei eine große Errungenschaft, war sich der Lehrer sicher. Den Versuch, die Türkei zu islamisieren nahm er nicht ernst. Das sei doch unmöglich! Vielleicht auf dem Land, aber nicht in Istanbul, nicht in den Städten des Westens! Ich wüsste gern, ob er heute noch immer so denkt? Oder ob er einer der Lehrer ist, die nach dem Putsch ihre Arbeit verloren haben, weil sie nicht ins System passen?
Oder die Lehrerin, deren kurdische Verwandtschaft schon damals im Gefängnis saß. Die waren in der BDP aktiv, der sozialdemokratischen Vorgänger-Partei der HDP. Zwar gab es einen Dialog mit Öcalans PKK, aber das hinderte Erdogan und die AKP nicht daran, demokratische Alternativen der Kurden zu diskreditieren. Zwar erzählten mir die Kurden, mit denen ich zusammenkam, dass es so ruhig wie schon lange nicht mehr sei, aber von einem normalen Leben konnte nur die Rede sein, wenn man sich assimilierte. Inzwischen hat Erdogan gegen die Kurden wieder Krieg geführt. Seine Armee hat ganze Städte in Schutt und Asche geschossen. Was aber ist aus dem Lehrer geworden, der mir unter Tränen erzählte, dass es ihm verboten war die mündlichen kurdischen Epen und Erzählungen in Kurdisch aufzuschreiben und zu veröffentlichen, die seine Großmutter ihm überliefert hatte? Weint er noch immer? Und die taffe junge Frau, die mich mit ihrem Freund vom Flughafen abholte und die Internationale auf Türkisch vom Handy vorspielte? Können sich beide noch frei bewegen? Oder sind auch sie den Säuberungswellen des Diktators aus Ankara zum Opfer gefallen?
Weder der Istanbuler Lehrer, noch die Kurden hatten irgendetwas mit Gülen zu tun. Dazu waren sie viel zu aufgeklärt, zu weltlich eingestellt. Sie lebten Europas Traum einer aufgeklärten Demokratie trotz aller Widerstände. Über Gülen sprachen sie eher verächtlich. Denn der profitierte vom Versagen der Schulpolitik Erdogans. Wer sichergehen wollte, dass seine Kinder das Abitur mit einer hohen Punktzahl ablegten, der musste sie auch noch auf die private Dersane schicken, einer Nachhilfeschule. Die Lehrerinnen und Lehrer ärgerte das. Denn eigentlich müsste es ja genügen, wenn man einen guten Unterricht besucht, um ein vernünftiges Abitur zu machen. Heute hat sich Erdogan mit Gülen zerstritten. Jener macht ihn für den Putsch verantwortlich. Deshalb entlässt Erdogan Zehntausende Beamte, Polizisten, Richter, Soldaten und Lehrer unter dem Vorwand, sie seien Unterstützer Gülens. Trifft dieser Bannstrahl auch die türkischen Lehrerinnen und Lehrer, von denen ich so viel über das Land lernen durfte? Das käme nun wirklich ihrer Verhöhnung nahe.
Und was ist mit all den Schülern, die sich mit dem Deutschen so leidenschaftlich plagten, weil sie hofften in Deutschland studieren zu können. Sie wollten alle frei und ungezwungen leben. Ich mag mir nicht vorstellen, wie die offenen, neugierigen Gesichter der jetzt jungen Frauen von einem strengen Kopftuch eingerahmt aussehen würden. Zum Glück sehe ich auf Facebook bei vielen noch die Lebensfreude und Neugier wie vor einigen Jahren. Aber was wird aus ihnen, wenn sich die Diktatur etabliert? Wenn Erdogan seine Re-Islamisierung der Türkei vorantreibt? Sie alle lernten Deutsch, um einst ein Visum für Deutschland zu bekommen. Und jetzt? Verlieren sie den Glauben? Oder schaffen sie es, der AKP zu widerstehen? Für eine Zukunft in Freiheit ohne Erdogan? Ich hoffe es und bin doch voller Sorgen um all meine lieb gewonnen Türkinnen und Türken.