Der Wiener Kongress steht für das Ende aller revolutionären Träume in Europa. Er ist das Sinnbild der Reaktion, die nach der Französischen Revolution und den ihr folgenden Umstürzen und Veränderungen in Europa, die alten Monarchien festigte. Und das Jahr 1815 steht für eine Epoche, die Restauration, in der Metternichs Geheimpolizei und die gefestigten Herrscher die Entwicklung Deutschlands zu einem normalen Nationalstaat verhinderte. Das ist alles richtig. Und dennoch wird diese Beschreibung dem Wiener Kongress nicht gerecht. Davon überzeugt Adam Zamoyski die Leser seines umfangreichen Werkes „1815 – Napoleons Sturz und der Wiener Kongress“.
Denn die Leser lernen hier erstaunlich sachliche und kompetente Politiker aus allen beteiligten Mächten kennen. Und in welchen Zwängen diese ihre Verhandlungen führen mussten. Da war die öffentliche Meinung in den weit entfernten Hauptstädten Berlin, Petersburg, London oder Paris. Und da waren die Monarchen, die das Optimum für sich sichern wollten. Dazwischen Diplomaten, die mit ihrem Blick für das Mögliche oftmals mehr erreichten, als es der grobe Blick aus 200 Jahren Entfernung scheinen lässt. Der polnisch-britische Historiker Zamoyski ist sich zwar sicher, dass der Wiener Kongress keinen 100-jährigen Frieden schaffte, wie es einst Henry Kissinger formulierte. Er weist auch auf den gesellschaftlichen Rückschritt hin. Aber eben auch auf die einigen Jahrzehnte Frieden, die dem 1815 in Europa folgten.
Zamoyski hat zudem die Gabe, schreiben zu können. Sein Buch entwirft auch ein kulturelles Panorama Wiens. Bis hin zu den Predigt-Auftritten von Zacharias Werner, dem zum Katholizismus konvertierten Dramatiker, hat er das Geschehen im Blick. Besonders eindringlich sind die Schilderungen rund um die Schlachten nach der Rückkehr Napoleons aus Elba. Er hat ja schon ein umfassendes Buch über Napoleons Russlandfeldzug veröffentlicht. Das Militärische mit all seinem menschlichen Leid, das der brutale Kampf mit Schusswaffen und mit Schwertern, Lanzen und Bajonetten verursachte, weiß er packend, anschaulich und somit auch abstoßend zu schildern. Wer wissen will, wo das Europa der Gegenwart her kommt, der sollte dieses Buch lesen. Anschließend versteht man Diplomatie und vieles Andere besser.