Leo Perutz ist einer dieser Schriftsteller, deren Name ich schon immer kenne, für dessen Bücher ich aber noch nie den nötigen Impuls bekam. Für seinen letzten Roman, „Der Judas des Leonardo“, gab es jetzt so einen Anlass. Und siehe da: Es hat sich gelohnt, Leo Perutz zu lesen.
Zum einen ist der Roman aus dem Mailand des frühen 16. Jahrhunderts historisch dicht. Beim Lesen entsteht ein vielschichtiges Bild des Lebens, der kulturellen und der gesellschaftlichen Zustände. Zum anderen ist der Stoff faszinierend erzählt. Leonardo da Vinci kommt mit seinem berühmten „Abendmahl“ nicht voran. Die Auftraggeber werden schon ungeduldig. Aber Leonardo fehlt ein Gesicht. Und nicht nur das. Es fehlt ihm vor allem der Ausdruck des Gesichts. Deshalb ist er auf der Suche nach einem Mann, der ihm als Judas zum Vorbild taugen könnte.
Das Wesentliche am Verrat des Judas ist die Bereitschaft, seine Liebe gegen Geld zu verraten. Von einer solchen Liebe und ihrem Verrat handelt das Buch deshalb vor allem. Von den zarten Banden, die ein deutscher Kaufmann und eine junge Mailänderin knüpfen. Leo Perutz schildert das wunderbar zart und ergreifend. Auch wenn man als Leser sehr bald weiß, auf welches Ende die Geschichte zu laufen wird, bleibt das Wie immer spannend. Und natürlich steht der Verrat als das zentrale Thema des Buches für mehr als nur einen Liebesverrat. Er steht für die Suche nach den Motiven, die Menschen dazu bringen, das zu verraten, was ihnen am wichtigsten ist. In diesem Fall ist es die Gier und die vernichtende Kraft, die ein zu großes Gerechtigkeitsempfinden entwickeln kann.
Dass Perutz dies nicht mit erhobenem Zeigefinger geschrieben hat, macht die Qualität des Romans aus. Es lohnt sich also, Leo Perutz zu lesen und für sich zu entdecken.