So zart wie die Haut eines zehnjährigen Kindes ist die Geschichte, die Erri de Luca in seinem neuen Buch erzählt. Es ist seine eigene Geschichte von den ersten Schritten in Richtung des Erwachsenwerdens. Die erste Begegnung mit einem Mädchen, die mehr in ihm auslöst als Nettigkeit. „Fische schließen die Augen nicht“ entführt die Leser in die Zwischenphase zwischen Kindheit und Jugend. Und das macht Erri de Luca ganz vorsichtig, ganz zart.
Mit seiner Mutter verbringt der junge Erri seine Ferien auf einer Insel im Golf von Neapel. Dort darf er mit einem Fischer immer wieder ausfahren und Fische fangen. Dort schwimmt er wie ein Fisch im Wasser und am Strand findet er Ruhe zum Lesen. Und dort am Strand lernt er ein Mädchen kennen. Sie kommt – anders als der Neapolitaner – aus dem Norden. Aber sie liebt wie er die Bücher. Und sie nimmt den Jungen an die Hand, was bei ihm ein ungeahntes Gefühl auslöst, das er erst viel Jahre später richtig beschreiben kann. Zum ersten Mal spürt er, welches Glück die Berührung weicher Haut auslösen kann.
All das passiert in einer Zeit, in der der Junge seinen Kindheitskörper los werden will. Er hofft auf eine Art Schlüpfen aus dem Konkon, um als Erwachsener gesehen werden zu können. Dafür nimmt er sogar in Kauf sich verprügeln zu lassen. Drei Konkurrenten von der Insel buhlen auch um das Mädchen. Sie scheuen vor Gewalt nicht zurück. Er begreift gar nicht, dass es um das Mädchen geht, dass muss sie ihm erklären. Trotz dieser Brutalität ist das Buch von großer Zartheit. Erri de Luca nimmt sich in dieser wichtigen Phase ernst. Er versucht zu spüren, was er damals fühlte. Und er lässt uns als Leser in einer ganz wunderbaren Art teilhaben. An diesem Buch gibt es fast nichts auszusetzen. Allenfalls, dass auf dem schmalen Band mit seinen 144 Seiten, den großen Buchstaben und dem vielen Platz zwischen ihnen, „Roman“ steht. „Fische schließen nie die Augen“ ist eine Erzhählung, eine große Erzähhlung über das Ende einer Kindheit im Italien der 1950er-Jahre.