Mit Reiseführern ist es ja meist so, dass man sie gerne hat, aber dann doch nicht so intensiv liest. Wer hat schon einen Baedecker oder Lonley Planet komplett gelesen? Wahrscheinlich niemand. Meist sind sie auch gar nicht darauf ausgelegt, weil sie viel zu viele Informationen enthalten, die es aktueller online gibt. Martin Pollacks „Galizien“ hat mit dieser Kategorie Reiseführer fast gar nichts zu tun. Er ist vielmehr ein Führer in die Vergangenheit eines untergegangenen Raumes.
„Galizien“ enthält eine fiktive Reise, die irgendwann um 1900 so hätte stattgefunden haben können. Entlang der Bahnlinien bewegt sich Martin Pollack durch diesen historischen Raum, der damals zu Österreich gehörte. Er passiert die Dörfer, verharrt in den Städten, gibt Einblick in das Leben dieser multinationalen Gemeinschaft, in der Deutsche zu Polen neben Polen, Ruthenen und Juden lebten. Er besucht die jüdischen Schtetl und Ghettos, stellt deren Zerrissenheit zwischen Zionismus, Assimilation und Chaddismus dar. Pollack berichtet vom schweren Leben der Huzulen und den Räubergeschichten, die über sie erzählt wurden. Und immer wieder zitiert er aus Texten von Joseph Roth, Karl Emil Franzos, Alexander Granach oder Manes Sperber.
Dabei nimmt er sich selbst stark zurück, indem er aus Zeitungen, Anzeigen und den Lebenserinnerungen der Zeitzeugen zitiert. So schreibt er ein packendes Geschichtsbuch, das uns vor allem den Verlust vor Augen führt, den der Dreissigjährige Krieg zwischen 1914 und 1945 in dieser Gegend verursachte. In Galizien wütete nicht nur der 1. und der 2. Weltkrieg, sondern auch der Bürgerkrieg nach der bolschewistischen Revolution, der Krieg Polens gegen Russland und die von Stalin verursachten Hungersnöte. Pollacks Buch ist schon 2001 erschienen und liegt inzwischen in der siebten Auflage vor. Weil es kein echter Reiseführer ist, überzeugt diese historische Reportage. Und es zeigt, wie sich Pollack auf seine folgenden Bücher „Kaiser von Amerika“ oder „Die Wolfsjäger“ schon damals vorbereitete. Wer sich auf den Weg in die Ukraine macht, für den ist „Galizien“ eine gute Vorbereitung. Und für alle anderen ein erhellender Blick in das alte Zentraleuropa..