Krzysztof Penderecki, Sie erhalten den Viadrina-Preis für deutsch-polnische Verständigung. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für einen Mann, der schon so viele Ehrungen erhalten hat? Der Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, der Mitglied der Akademie der schönen Künste Bayerns ist, der in den USA, in China ausgezeichnet worden ist. Was bedeutet so ein Preis aus Frankfurt (Oder)?
Sehr viel. Ich habe mich das ganze Leben um Verständigung zwischen Polen und Deutschland bemüht. Ich habe vier Jahre in Deutschland gelebt. Ich habe, vielleicht, viele hundert Konzerte dort gehabt. Aber was wichtiger ist: Fast die Hälfte meiner Konzerte ist für deutsche Auftraggeber geschrieben worden.
Es ist sehr interessant, dass ein Mann, der 1933 in Ostpolen geboren wurde, der den zweiten Weltkrieg, der die Schrecken des Krieges auch in der eigenen Familie erlebt hat, ausgerechnet Deutsch lernte.
Mein Großvater war ein Deutscher. Er hat mit mir, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern, vor dem Kriege Deutsch gesprochen. Aber als die Deutschen kamen, wollte er plötzlich kein Wort Deutsch mehr sprechen. Ich habe dann alles verlernt. Aber ich dachte dann, dass man das überwinden muss. Man kann nicht das ganze Leben nur vom Hass leben. Als ich nach Deutschland kam, habe ich dann ganz viele positive Deutsche kennengelernt.
Sie waren Anfang 30, als Sie 1966 nach Essen kamen. Dort hatten Sie einen Lehrauftrag für Komposition an der Folkwang-Hochschule für Musik. Wie war es für Sie als jungem Polen ins Land der Täter zu kommen?
In Polen war es in den 50er- und 60er-Jahren sehr schwer zu leben. Man durfte nicht reisen und war vom westlichen Teil Europas total abgeschlossen. Ich wollte unbedingt für einige Zeit weg. Als ich diesen Lehrauftrag aus Essen bekam, akzeptierte ich sofort. Für meine Frau und mich war das eine freie, neue Welt. Im Grunde genommen habe ich sehr schnell vergessen, was zwischen Deutschen und Polen geschehen ist. Vor allem, weil ich viele, sehr positive Menschen kennenlernte. Ich war sehr dankbar für die Hilfe. Meine Frau und ich haben versucht etwas für die deutsch-polnischen Beziehungen zu machen.
Ende der 60er-Jahren waren Sie dann dank des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in West-Berlin. Sie waren wieder in der Bundesrepublik und nicht in der DDR. Es hätte doch näher gelegen, dass ein polnischer Komponist in den sozialistischen Bruderstaat DDR geht.
Wissen Sie, in der DDR war Avantgarde noch massiver verboten als in Polen. Avantgarde war in Polen bis Mitte der 60er-Jahre verboten. Aber in der DDR war sie total verboten und sie wurde nicht gespielt. Meine Werke waren in der DDR anfangs verboten. Deshalb bin ich dort nicht hingegangen.
Als Avantgardist haben Sie mit allen Traditionen gebrochen. Sie haben ganz neue Töne versucht zu finden und gefunden. Dann ist die Avantgarde in den Hintergrund getreten und Sie haben sich wieder verstärkt einer zugänglicheren Musik zugewandt. Was war dafür der Grund?
Ich glaube, alles was ich zu sagen hatte, hatte ich schon gesagt. In den 60er-Jahren habe ich mehrere Werke geschrieben. Ich glaube, was ich damals geschrieben habe, war schon Musik, die man damals nicht weiterentwickeln konnte. Ich habe in kurzer Zeit 20 Werke geschrieben und wollte mich nicht wiederholen.
Diese Werke setzten sich mit großen Stoffen auseinander. Sie haben sich mit den Opfern von Hiroshima auseinandergesetzt. Sie haben über die Opfer von Auschwitz geschrieben, später dann über den 11. September. Das sind alles historische Tragödien. Aber es gibt kein Stück über den Fall der Mauer, den Niedergang des Ostblocks, obwohl sie selbst von dort kommen.
Nein, ich wollte keine Musik schreiben, die für jede Tragödie, jede Veränderung wie dem Fall der Mauer zu verwenden ist. Ich habe aus großer Überzeugung Werke wie die über die Opfer von Hiroshima und Auschwitz geschrieben. Aber ich schreibe keine Chronik. Es sind Themen, die mich packen. Ich habe ein Stück geschrieben, das polnische Requiem. Das reicht.
Sie leben in Krakau vor den Toren der Stadt und gehen einem interessanten Hobby nach: Sie sammeln Bäume. Wie kommt man darauf Bäume zu sammeln? Und wir reden hier nicht von zwei oder drei Bäumen, sondern von 1700 unterschiedlichen Baumarten, die schon auf ihrem Land gepflanzt wurden!
Das wurde eigentlich mein zweiter Beruf. Angefangen hat es mit meinem Großvater. Bei ihm musste ich alle Bäume auf Latein benennen, was ich damals nicht wollte. Er hatte eine Liebe zu den Bäumen, die ich erbte. Vielleicht ist es genetisch bedingt. Sein Vater, mein Urgroßvater war Förster. Vor mehr als 40 Jahren habe ich ein Stück Land gekauft und sofort Bäume gepflanzt, bis kein Platz mehr war. Dann habe ich weiteres Land gekauft und noch mehr Bäume gepflanzt.
War das Zufall oder folgen Sie einem Plan?
Ich habe viele Bücher studiert und daraus habe ich einen Plan für meinen Park entwickelt. Jetzt sind 1700 Arten, oder auch mehr, auf 30 Hektarn gepflanzt. Ich pflanze jedes Jahr 50 bis 100 Arten. Ich suche diese Arten in aller Welt. Früher habe ich sie geschmuggelt. Heute sind diese Bäume 20 Meter hoch. Das ist eine Passion, die man nicht erklären kann. Der eine sammelt Briefmarken und der andere Bäume. Das ist schon eine Verrücktheit.
Den Bäumen wird diese Liebe zum Wald nachgesagt. Ihre achte Sinfonie beschäftigt sich mit der Romantik. Ist da eine Ader in Ihnen, die mit Bäumen ausgelebt wurde und jetzt verstärkt in der Politik?
Ja, die achte Sinfonie wurde eigentlich für meine Bäume geschrieben. Da ich vor allem in der deutschen Literatur viele wunderbare Dichter fand, die über Natur und Naturphilosophie schreiben, Rilke und Goethe und viele andere. Das hat mich fasziniert. Das Stück ist jetzt etwas länger als eine Stunde. Aber vielleicht werde ich es noch verlängern.
Gibt es etwas, worauf Sie ich freuen, wenn Sie nach Frankfurt (Oder) kommen?
Das ist die Geschichte dieser Universität, die im frühen 16. Jahrhundert gegründet wurde. Schon damals studierten viele Ausländer, vor allem Polen, aber auch Dänen und Schweden. Das ist ein besonderer Ort. Es freut mich, dass ich dort einen Preis bekomme.
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