Er hat gerade noch erlebt, dass seine Erinnerungen erschienen sind. Dann ist Hans Keilson im Alter von 101 Jahren gestorben. „Da steht mein Haus“ hat der letzte deutsche Exilschriftsteller sein Buch genannt. In ihm gelingt Keilson das Kunststück 101 bewegte und bewegende Lebensjahre auf nur 140 Seiten zu komprimieren. Autobiografien sind gern sehr dick.
Der Zurückblickende schafft es oft nicht, die Fülle an Leben so zu sortieren, dass dem Leser nur das Wesentliche erzählt wird. Der Stolz, diese und jene Berühmtheit gekannt oder getroffen zu haben, erzeigt statt eines guten Lesetextes dann eher ein Nachschlagewerk, in dem das Personenregister das wichtigste ist.
Bei Hans Keilson ist das ganz anders. Er verdichtet wichtige Lebensabschnitte atmosphärisch und sprachlich so gekonnt, dass ganz konkrete Bilder im Kopf des Lesers entstehen. Wenig erstaunlich ist es, dass der Arzt und Psychoanalytiker das so gut kann. Die Schulung seiner jahrzehntelangen Praxis liefert ihm das Werkzeug, sein eigenes Leben so zu analysieren, dass eine schlüssige Erzählung daraus wird. Die Mittel des großen Schriftstellers ermöglichen es ihm, das packend und vielschichtig zu machen.
Keilsons gelingt es seinen Werdegang vom jüdischen Schüler in den 20er-Jahren in Bad Freienwalde und das anschließende Studium in Berlin genauso knapp zu schildern wie den Weg ins Exil, das Leben im Untergrund und psychoanalytische Arbeit mit traumatisierten Kindern, die das KZ überlebten. Trotz des Leids, die Familie im KZ verloren zu haben, durchzieht sein Buch und sein Leben eine tiefe Güte. Und der Wunsch die Trauer und das Leid zu verstehen. Das Buch hat ihm dabei sicher geholfen. Den Lesern hilft es ebenfalls. Denn sie haben das letzte Erinnerungsbuch eines Überlebenden des Exils gelesen.
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