Ach. Die Lüge. Sie begleitet uns ständig. Natürlich lügen wir selbst nie, sondern nur die anderen. Und wenn wir doch lügen, dann wollen wir zumindest nicht erwischt werden. Mit Verrat ist es noch schlimmer und bewusste Verstellung ist mindestens genauso schlimm.
Schlagwort: Philosophie
Jochen Hörischs Denken freut sich am Unreinen
Ohne Wasserwerke keine Demokratie. Diese These in Jochen Hörischs Aufsatzsammlung hat mir sofort eingeleuchtet. Denn ohne Wasserversorgung kein regelmäßiges Waschen. Ohne sauberes Wasser keine einfache Reinigung der Kleider. Und ohne Trinkwasser keine regelmäßiges Zähneputzen. Was das mit Demokratie zu tun hat? Sehr viel! Denn wer miteinander diskutiert, muss sich Riechen können. Der darf nicht aus dem Mund stinken und ein Würgen bei seinem Gegenüber hervorrufen. Die Nähe des Gesprächs, der Auseinandersetzung auf Augenhöhe erfordert es geradezu, dass sich die Sinne nicht von Ekelhaftem ablenken lassen, sondern sich auf das Wesentliche, auf das Argument konzentrieren können.
Jochen Hörisch geht sogar so weit zu behaupten, dass Stinken ein Privileg des Adels war. Erst die Reinlichkeit der Bürger ließ es zu, dass sich Gleichgesinnte und sich gleich Fühlende so oragnisieren konnten, dass sie ein Staatswesen übernehmen und organiseren konnten.
Solche Gedanken machen die Aufsätze Hörischs aus. Auch wenn sie nicht alle so eingängig sind wie der über die Gründung des Hamburger Wasserwerks. Der Mannheimer Germanist und Medienwissenschaftler nimmt sich auch Benjamin, Adorno und Luhmann an. Dabei interessiert ihn immer das Kommunikative und dessen Funktion. Wer Lust auf eine das Hirn etwas fordernde Lektüre in den Ferien hat, dem kann ich das Buch empfehlen. Ach ja: Der Untertitel von „Tauschen, sprechen, begehren“ ist übrigens: „Kritik der unreinen Vernunft.“ Denn für Hörisch ist nur das von Interesse, was nicht absolut, was nicht vollkommen, was nicht perfekt ist. Denn genau dann lohnt es sich mit dem Denken zu beginnen.
Jochen Hörisch: Tauschen, sprechen, begehren. Eine Kritik der unreinen Vernunft. Edition Akzente, Hanser Verlag.
Julian Barnes nimmt die Furcht vor dem Tod
„Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.“ Schon wegen dieses ersten Satzes muss man das letzte Buch von Julian Barnes mögen. Wie lässt sich der Zweifel und die letzte Hoffnung auf einen übergeordneten und regelnden Sinn des Daseins besser auf den Punkt bringen?
Julian Barnes wird eindeutig älter. Mit Mitte 60 rückt der Tod in den Blick des britischen Romanciers. Mit seinem Humor und einer guten Anordnung seiner Figuren schafft er es, ein packendes und sehr hintergründiges Buch über das Sterben zu schreiben, das ich nicht mehr aus der Hand legen wollte, ehe ich viele neue Perspektiven auf das endgültige Ende präsentiert bekam. Ausgangspunkt des autobiografischen Romans ist die Auseinandersetzung mit seinem Bruder, einem Philosophen, um den Tod. Dem setzt er auch das obige Zitat entgegen, wenn der die Sinnsuche als überflüssig abtut.
Das ganze Buch ist eine Diskussion der Interpretation des Todes. Der Ich-Erzähler ist Schriftsteller. Er liest die großen Dichter, um sich dem Tod zu nähern. Sein Bruder, der Atheist und Rationalist, hält sich an den Philosophen fest. Das klingt sehr trocken. Ist es aber nicht. Und genau da zeigt sich die schriftstellerische Klasse von Julian Barnes. Er packt dieses Auseinandersetzung in eine Famlienchronik. Und so werden die sich wandelnden Einstellungen zum Tod an einem Jahrhundert Familiengeschichte greifbar. Die damit verbundenen Gefühle und der so verschiedene Umgang andersartiger Menschen mit dem Tod wird warm und voller liebenswerter Ironie geschildert. Und in den Worten und Gedanken der großen Dichter und Phliosophen gespiegelt.
Das ist wunderbar leicht trotz des schweren Themas. Wahrscheinlich kann nur ein frankophiler Brite so ein feines Buch über unser aller Ende schreiben.