Julian Barnes erlaubt uns „Unbefugtes Betreten“

Julian Barnes: Unbefugtes Betreten
Julian Barnes: Unbefugtes Betreten

Keines seiner Bücher hat mich bisher enttäuscht. Inzwischen sind es schon fast 30 Jahre, in denen ich mich auf jede Neuerscheinung von Julian Barnes freue. „Unbefugtes Betreten“ ist ein weiterer Band mit Erzählungen rund um das Leben und das Scheitern als Paar. Ein Stoff also, zudem eigentlich alles geschrieben sein sollte. Und doch ist der spezielle Blick und der leichte, nur etwas ironische Ton von Julian Barnes auch diesmal wieder neu und unverbraucht.

Jede der 14 Geschichten ist kurzweilig. Jede ist in einem anderen Ton geschrieben. Jede befasst sich mit Menschen anderen Alters. Bis auf die vier Folgen von „Bei Phil & Joanna“, die fast ausschließlich Dialoge einer Gruppe von Pärchen sind, die sich regelmäßig bei den beiden zum Essen und Trinken treffen. Da geht es dann dank des Alkohols auch schon mal deftiger zu. Etwa wenn es um die Frage geht, ob man als Paar nach einem solchen Abend zuhause gleich einschläft oder doch noch miteinander schläft?

Ansonsten ist Julian Barnes in den Erzählungen auch auf der Suche danach, wie man nach dem Verlust eines geliebten Menschen weiterleben kann. Dazu geht er in die Geschichte zurück, wenn er die erste Ehe Garibaldis beobachtet oder eine Arzt-Patientin-Geschichte aus dem Wien des späten 18. Jahrhunderts. Er ist aber auch ganz nah im jetzt, wenn er in Pulse (so auch der Titel im englischen Original des Buches) die gescheiterte Beziehung eines Ich-Erzählers der sich im Tod der Mutter vollendenden dessen Eltern gegenüberstellt. All das ist zart und wahr und doch auch leicht und humorvoll. Dass das Buch mit dieser Geschichte endet ist auch kein Zufall. Denn der Band ist durchkomponiert. Teils echte, meist aber Bezüge der Stimmung und des Tonfalls bauen aufeinander auf und finden ihren erzählerischen Höhepunkt in Pulse.

Julian Barnes nimmt die Furcht vor dem Tod

Julian Barnes: Nichts, was man fürchten müsste
Julian Barnes: Nichts, was man fürchten müsste

„Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.“ Schon wegen dieses ersten Satzes muss man das letzte Buch von Julian Barnes mögen. Wie lässt sich der Zweifel und die letzte Hoffnung auf einen übergeordneten und regelnden Sinn des Daseins besser auf den Punkt bringen?

Julian Barnes wird eindeutig älter. Mit Mitte 60 rückt der Tod in den Blick des britischen Romanciers. Mit seinem Humor und einer guten Anordnung seiner Figuren schafft er es, ein packendes und sehr hintergründiges Buch über das Sterben zu schreiben, das ich nicht mehr aus der Hand legen wollte, ehe ich viele neue Perspektiven auf das endgültige Ende präsentiert bekam. Ausgangspunkt des autobiografischen Romans ist die Auseinandersetzung mit seinem Bruder, einem Philosophen, um den Tod. Dem setzt er auch das obige Zitat entgegen, wenn der die Sinnsuche als überflüssig abtut.

Das ganze Buch ist eine Diskussion der Interpretation des Todes. Der Ich-Erzähler ist Schriftsteller. Er liest die großen Dichter, um sich dem Tod zu nähern. Sein Bruder, der Atheist und Rationalist, hält sich an den Philosophen fest. Das klingt sehr trocken. Ist es aber nicht. Und genau da zeigt sich die schriftstellerische Klasse von Julian Barnes. Er packt dieses Auseinandersetzung in eine Famlienchronik. Und so werden die sich wandelnden Einstellungen zum Tod an einem Jahrhundert Familiengeschichte greifbar. Die damit verbundenen Gefühle und der so verschiedene Umgang andersartiger Menschen mit dem Tod wird warm und voller liebenswerter Ironie geschildert. Und in den Worten und Gedanken der großen Dichter und Phliosophen gespiegelt.

Das ist wunderbar leicht trotz des schweren Themas. Wahrscheinlich kann nur ein frankophiler Brite so ein feines Buch über unser aller Ende schreiben.