In der Bahn wird das Leben erklärt

Im Kabarett lacht man über solche Figuren: Sie tragen Anzug. Sie sind laut. Sie haben Bauch. Und sie sind sich ihrer selbst ganz sicher. Aber wenn man ihnen in echt begegnet, wenn man ihnen nicht ausweichen kann, wenn man ihnen zuhören muss, weil sie selbst von den Stöpseln im Ohr nicht übertönt werden, dann ist Schluss mit lustig.

In der Bahn war es, morgens auf dem Weg zur Arbeit. Da setzte sich so ein Mann um die 50 mit einem Mittzwanziger direkt neben mich. Er gab dem jüngeren Ratschläge fürs Leben. Dabei war er sich ganz sicher, dass er weiß, wie das Leben funktioniert! Das Leben ist nämlich ganz einfach. Es gibt nur ein paar Grundsätze, an die man sich halten muss:

– Mit 35 musst du wissen, was du beruflich willst. Und dazu musst du wissen, worauf du stolz bist!
– Des muss man so sehen.
– Und dann kannst du dich um ein Weibchen kümmern.
– Des muss man so sehen. Das ist Lebenserfahrung.
– Dann hast du gute Chancen bei den Weibern, weil du dann Erfolg ausstrahlst. Dann kannst du dir eins aussuchen.
– Des muss man so sehen.
– Schau dir doch die Konkurrenz an. Da lach ich doch. All die verweichlichten Kerle. Weibisch, weinerlich. Ab in den Steinbruch oder ab in die Armee mit denen! Die Weiber stehen auf andere!
– Des muss man so sehen. Da gibt es nichts zu rütteln.
– Und dann machst du dem Weibchen zwei Kinder. Da sind die scharf drauf.
– Des muss man ganz genau so sehen. Glaub mir.
– Wir brauchen starke, dezidiert stabile Männer, nicht so Typen, wie sie überall rumlaufen.
– Des muss man so sehen.
– Du bist so einer. Jetzt musst du nur noch deinen Erfolg planen. Und dann läuft das.
– Glaub mir. Des muss man so sehen.
– Das Leben ist Erfolg, Gesundheit, Arbeit, Familie und Weibchen.
– Des musst du so sehen. Dann klappt alles.
– Nur die ganzen Schlappschwänze stören. Die gehören echt alle ins Arbeitslager, in den Steinbruch. Die Jugendlichen, die in ein Drill-Camp kommen, sind nach ein paar Wochen alle geheilt. Das muss man mit den anderen Schmarotzern auch machen.
– Da geht kein Weg dran vorbei. Des ist meine Meinung. des muss so sein.

So verlief das Gespräch. Wobei nur einer sprach. Der Mann im Anzug. Der Mann, der weiß, wo es lang geht. Dann ist er zum Glück ausgestiegen. Hat aber weiter gedröhnt. In mir drin. Und dröhnt noch immer. Mit dem dem Wunsch, dass er mal in ein Drill-Camp kommt. Als Unter und nicht als Ober.