Rot liegt im Trend – Deutsche Trinker entdecken den heimischen Rotwein

HAMMELBURG. – Weiß ist der Franke aus dem Bocksbeutel, herb und für viele Nichtfranken gewöhnungsbedürftig. Eher schwarz ist des Franken Wahlverhalten, konservativ und für viele Außenstehende ungewohnt konstant. Doch in den letzten Jahren mischt sich immer mehr Rot in das mainfränkische Farbenspiel. Aber nicht die SPD, sondern der Rotwein ist im Kommen. Wo in den fünfziger und sechziger Jahren weiße Rebflächen die Hänge des Mains prägten, mischen sich nun immer mehr rote ein.

In der Nachkriegszeit bauten fränkische Winzer lediglich drei bis vier Prozent Rotwein an. Inzwischen hat sich die Menge bereits verdoppelt, und in den kommenden Jahren rechnet der Fränkische Weinbauverband mit einer Verdreifachung auf zwölf Prozent. Das klingt nicht viel, ist für eine Gegend, die lange Zeit für nur zwei bis drei Weißweinsorten bekannt war, jedoch eine erstaunliche Umstellung.

Dieser Wandel vollzieht sich nicht nur in Franken. Auch in den anderen deutschen Weinbaugebieten hat die Rotweinproduktion stark zugenommen. Anfang der sechziger Jahre lag die Anbaufläche in Deutschland noch bei gut 10 000 Hektar, fast ausschließlich an der Ahr, in Baden und Württemberg. Seit Beginn der achtziger Jahre wuchs der Rotweinanteil nach und nach auf das Doppelte. Inzwischen warten die roten Beeren auf knapp 21 000 Hektar – meist in ökologischen Nischen – auf das nötige Sonnenlicht.

Die deutschen Winzer folgen damit einem Trend: Die Verbraucher haben den heimischen Rotwein entdeckt. Zwanzig Prozent aller deutschen Weine, die sie kaufen, sind inzwischen Dornfelder, Spätburgunder oder Trollinger. Noch vor vier Jahren waren es lediglich vierzehn Prozent. Doch der Erfolg des eigenen Rotweins verunsichert manchen Winzer. Der Seniorchef des Hammelburger Winzerbetriebs Eilingsfeld beispielsweise verlangt, daß die Kunden mit jeder Flasche Roten auch einen Silvaner oder Müller-Thurgau kaufen. „Jeder kommt und will den Spätburgunder, aber der Silvaner ist fei auch gut“, fordert der Unterfranke die Kundschaft auf, die traditionellen Weine beim Einkauf ja nicht zu vergessen. In Württemberg, das wie Baden zu den Weinbaugebieten gehört, in denen es schon immer sehr viel Rotwein gab, kann sich Horst Reuschle an diese eigensinnige Vermarktungsstrategie nur noch erinnern. „Das ist vorbei“, meint der Experte der Werbegemeinschaft Württembergischer Weingärtnergenossenschaften. Dennoch sieht auch er einen Rotweinboom. Vor allem klassische Weißweinbetriebe seiner Region hätten ihren Umsatz bis zu zwanzig Prozent gesteigert – fast nur mit ihren neuen Roten. „Das zeigen die Umsatzzahlen des letzten halben Jahres“, erklärt Reuschle. Die Statistik weist aus, daß die Württemberger 1996 vier Prozent mehr Wein verkaufen konnten als noch 1995. Zu verdanken haben sie diesen Wert tatsächlich nur dem Trend zum Roten. Reuschle warnt allerdings: „Trends kommen und gehen.“

Ähnlich sieht Klaus Böhme die Lage. Zwar hat auch er den Anteil des Rotweins auf zwanzig Prozent seines Betriebes gebracht, „doch in dieser Nische sollte er bleiben“. Schließlich sei der Weißwein für Europas nördlichstes Weinbaugebiet, Saale-Unstrut, der traditionelle Wein. „Ich denke, der goldene Mittelweg ist richtig. Bloß weil der Markt jetzt nach Rotwein fragt, sollte man nicht auf Teufel komm raus umsteigen“, meint Böhme, obwohl er mehr Rotwein verkaufen könnte.

Auch im Rheingau und in der Pfalz steigt das Angebot an Roten.

Neben achtzig Prozent Riesling wurden im vergangenen Herbst bereits neun Prozent Spätburgunder im Rheingau gelesen. Winzern aus Rheinland-Pfalz gelang es, mit Rotweinen in die internationale Qualitätsspitze vorzustoßen. Dabei kommt ihnen wie überall in Deutschland ein weiterer Trend zugute. Trotz Rezession sind die Deutschen bereit, mehr für einen guten heimischen Schoppen auszugeben. Sechs Mark und 21 Pfennig zahlten sie 1996 im Durchschnitt für einen Liter deutschen Wein. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Steigerung um elf Prozent. Allerdings tranken die Deutschen etwas weniger heimische Weine: 9,9 Liter pro Kopf im Jahr 1995, 9,4 im vergangenen Jahr.

Dieser Text ist am 14. März 1997 in der ZEIT erschienen.