Das Buch ist so schwer. Mehr als 1250 Gramm. In der Zeit, von der „Wer wir sind“ erzählt, hätte man zweieinhalb Pfund gesagt. 2000 Seiten Dünndruckpapier wurden mit dem Text bedruckt. Sabine Friedrich hat auf Ihnen ein Panorama des deutschen Widerstands gegen Hitler und die Nationalsozialisten entworfen. Es ist also nicht nur das Buch schwer, auch der Inhalt ist alles andere als leicht.
Zwei Wochen habe ich hin und her überlegt, ob ich das Buch wirklich lesen will, ob ich tatsächlich dieses Gewicht mit mir tragen will. Die ersten 250 Seiten zeigen, dass es sich lohnt. Schon der Einstieg ist verblüffend. Das Buch beginnt nicht mit einer explodierenden Bombe, sondern in den USA. In Milwaukee, einer Stadt, in der bis zum 1. Weltkrieg mehr Deutsch als Englisch gesprochen wurde. Aber jetzt, 1917, verändert sich nach dem Eintritt der USA in den Krieg die Wahrnehmung der Einwohner. Deutsche Schilder werden englisch überschrieben. Und Mildred Fish, die spätere Frau von Arvid Harnack, sehnt sich dennoch nach Europa, nach Deutschland.
Dieser Einstieg nimmt dem Buch etwas von der Schwere. Man befindet sich in einer anderen Welt. Man ist weit weg von der Politik und schweren Gewissensentscheidungen. Auf den ersten 250 Seiten geht es so weiter. Schritt für Schritt werden Personen eingeführt, die im Dritten Reich aktiv gegen das Regime gekämpft haben. Verblüffend dabei ist, wer sich alles kannte, wer mit wem verwandt war, wer einst den gleichen Schulweg hatte oder als Kind im Garten des Nachbarn spielte. Die Harnacks und die Bonhoeffers, die von Dohnanyis und viele andere. Sie alle verwebt Sabine Friedrich auf diesen ersten 250 Seiten zu einem Netzwerk, das sie in der Realität auch waren. Nur habe ich das in noch keinem Geschichtsbuch so gelesen. Von Zeile zu Zeile nimmt das Gewicht des Themas ab. Und der Sog mehr erfahren zu wollen nimmt zu.
Mehr zu „Wer wir sind“:
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7 Das Attentat
8 Wut und Trauer über das Scheitern
Sabine Friedrich überzeugt im Berliner Literaturhaus