Ein Roman, der in der Uckermark spielt, sorgt derzeit für Furore. Mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet ist „Vor dem Fest“ von Saša Stanišić ein außergewöhnliches, sprachverliebtes und liebevoll komisches Buch. Auch, wenn es kein originärer über die Uckermark ist.
Es spielt ja in der Uckermark. Das Fürstenfelde des Romans hat sehr starke Ähnlichkeiten mit Fürstenwerder in der Nordwest-Uckermark. Das Dorfarchiv des Romans, in das in der Nacht vor dem Fest eingebrochen wird, ist eindeutig der „Uckermärkischen Heimatsstube“ in Fürstenwerder nachempfunden. Auch die Lage des Ortes – zwischen zwei Seen gelegen – entspricht der Wirklichkeit. Aber eigentlich ist die Uckermark für das Buch nicht wichtig. Der Roman könnte in jeder ländlichen Region Deutschlands spielen, die vom urbanen Fortschritt abgekoppelt wurde.
Saša Stanišić entwirft ein ganzes barockes Welttheater in diesem halb fiktiven Fürstenfelde. Das Dorf mit seinem jährlichen Höhepunkt, dem Annafest, wird zum Spiegel dafür, was das Leben und Zusammenleben in einem Dorf ausmacht. Die eineinhalb Tage, die er auf dem Weg zum Fest beschreibt, versammeln das Personal vom angehenden Glöckner, der Atheist ist, über die Heimatarchivarin, die jede Erwähnung des Ortes in früheren Jahrhunderten wie einen Schatz hütet (und bei der man nie ganz sicher ist, ob sie diese Quellen im streng gesicherten Archivkeller nicht selbst fälscht), den ehemaligen NVA-Offizier, der seine Rente mit Schwarzarbeit aufbessert oder die eineinhalb Neonazis, die den richtigen Moment zur rassistischen Aktion verdödeln. Alle Charaktere nimmt Stanišić ernst. Er hört ihnen zu und gibt ihnen eine Stimme. Vor allem aber hört er ganz genau, was nicht erzählt wird. In einem Dorf ist das ja oft das wichtigste.
Das zu lesen ist ein großes Vergnügen. Es ist nicht ganz leicht, weil der Text komplex auf mehreren Abenen arbeitet. Da gibt es den Fuchs, der uns immer wieder begleitet und die Rolle hat, das Dorf von außen für uns wahrzunehmen. Dann gibt es etliche Rückblenden in die Geschichte, die in der Sprache des 15. oder 16. Jahrhunderts geschrieben sind. Und dann beschreibt uns das kollektive Ich des Dorfes das Personal von heute. Alle Ebenen greifen ineinander und erzeugen so ein Bild von dem, was im Dorf schon immer war. Mythos und Realität vermischen sich so zu einem dichten Bild der Dorfgemeinschaft über Generationen, über Jahrhunderte hinweg. Auch die DDR, zu der die Uckermark vier Jahrzehnte gehörte, ist Teil dieses Kontinuums. Aber sie ist nicht dominant. Saša Stanišić nutzt sie vielmehr, um dem Dorf mehr Glaubwürdigkeit und auch mehr Witz zu geben. Das alles ist wunderbar geschrieben, voller Humor und Liebe zu den Leuten und den Details.