Kaum eine hat Berlin am Ende der Weimarer Republik so genau beschrieben wie Irmgard Keun. Ihr Berlin erkundet Michael Bienert, der Stadt-Literat und Literatur-Geograph Berlin in seinem neuen Buch. Dem Kundigen zeigt er die Schauzplätze der Romane Irmgard Keuns. Und den an Berlin-Interessierten bringt er die Stadt nahe – und Köln noch dazu. Denn auch dort lebte die Keun.
Michael Bienert hat uns schon das Berlin von Erich Kästner, Bert Brecht, Alfred Döblin und E.T.A. Hoffmann nähergebracht. Jetzt hat er sich eine nicht mehr ganz so bekannte Autorin für sein aktuelles Buch herausgesucht: Irmgard Keun. Das allein ist schon ein Verdienst. Zwar gibt es immer mal wieder eine Neuauflage der beiden Romane „Das kunstseidene Mädchen“ und „Gigli, eine von uns“ und vor einigen Jahren ist sogar das Gesamtwerk in einer dreibändigen Kassette erschienen, aber neben den oben genannten Namen verlasst Irmgard Keun dennoch. Und das völlig zu Unrecht!
Berlin, Köln und das Exil
Das Leben der 1905 in Charlottenburg geborenen und 1982 in Köln verstorbenen Irmgard Keun hat alle Wirren des 20. Jahrhunderts bereitgehalten. Sie wuchs in einigermaßen Wohlstand auf, erlebte wie die Inflation Sicherheit rauben kann, machte sich als Frau auf, Schriftstellerin zu werden und musste erleben, dass Erfolg auch seine Schattenseiten haben kann. Sie konnte sich als Autorin etablieren, musste aber erleben, dass die Nationalsozialisten ihre Bücher verboten. Das Exil war der nächste logische Schritt. Nach dem Exil lebte sie wieder in Köln, konnte sich wie so viele Exilierte nicht mehr etablieren und wurde Alkoholkrank. Erst Ende der 1970er-Jahre wurde sie wiederentdeckt.
Eine Fülle von Quellen
Michael Bienert begibt sich in seinem Keun-Buch auf die Suche nach den Orten ihrer Geschichten und ihres Lebens. Diese Kombination macht seine Bücher aus. Er zeigt uns wie Straßenzüge, in denen die Romane Keuns spielen in der Gegenwart und in den 20er- und 30er-Jahren.Er präsentiert Bilder, Zeitschriften, Filmplakate- Er zitiert aus Keuns Büchern und aus etlichen anderen Quellen. Und so entsteht ein sehr lebendiges Bild Berlins. Und Kölns. Denn auch dort macht er sich – zusammen mit Tochter und Schwiegersohn Irmgard Keuns – auf die Suche nach den biografischen und literarischen Schauplätzen.
Anregung zum Weiterlesen
Das Großartige an Michael Bienerts „Das kunstseidene Mädchen“ ist, dass er all sein Wissen, all seine Erkundungen, all seine Lesebegeisterung vollständig in den Dienst Irmgard Keuns stellt. Selbst die Passagen, in denen er vom Rundgang durch Köln mit Keuns Tochter erzählt, erzählen nur von ihr – und nicht vom Autor. Und so macht er Lust darauf, nicht nur Berlin und Köln zu entdecken, sondern vor allem die Bücher Irmgard Keuns. Die frühen, wie „Das kunstseidene Mädchen“ genauso wie die aus dem Exil.