In den Nachrichten berichten sie von Schiffen voller Flüchtlingen, denen die Einfahrt in italienische Häfen verweigert wird. In der Hand liegt ein Buch, das davon erzählt, was Menschen passiert, die trotz Flucht und Exil statt in einem sicheren Hafen in einem Zug nach Auschwitz landen. „Felix und Felka“ von Hans Joachim Schädlich komprimiert die Fluchtgeschichte von Felix Nussbaum und seiner Frau Felka Platek. Die 192 Seiten machen traurig. Und nach dem Lesen bin ich fassungslos, weil in den Nachrichten gesagt wird, dass im vergangenen Monat 600 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind.
Hans Joachim Schädlich hat ein Buch geschrieben, in dem das Maler-Ehepaar Nussbaum/Platek in kurzen Schlaglichtern von 1933 bis 1944 begleitet wird. Es beginnt damit, dass Nussbaum in Rom die Villa Massimo, in der er seit 1932 als Stipendiat lebt, de facto verlassen muss. Nach der Machtübernahme der Nazis hat ein antisemitscher Mitstipendiat Oberwasser. Er schlägt Nussbaum und weigert sich mit dem Juden zu verständigen. Nussbaum verlässt die gesicherte Existenz in der Villa Massimo. So beginnt das Exil von Felix und Felka. Denn nach Deutschland wollen und können sie nicht mehr zurück.
Zunächst reisen sie noch durch Italien, aber dann wächst der Wunsch, sich in Belgien niederzulassen. Hier hat Felix Bekannte und hier hat er glückliche Tage im Urlaub erlebt. Sie können tatsächlich Fuß fassen, aber als Maler dürfen sie eigentlich nicht arbeiten, weil Ausländern das Arbeiten verboten ist. Ein Freund in den USA verkauft einige Bilder. Gelegenheitsjobs halten sie über Wasser. Aber nach dem Überfall der Nazis auf die Benelux-Staaten und Frankreich ist das einigermaßen gesicherte Leben vorbei. Felix wird verhaftet und ins Lager St. Cyprien in Südfrankreich verschleppt. Zwar kann er fliehen, aber am Ende nützt alles Verstecken durch belgische Freunde nichts. Ein Nazi-Agent entdeckt das untergetauchte Paar. Sie werden jetzt beide interniert und 1944 nach Auschwitz in den Tod deportiert.
Hans Joachim Schädlich verknappt dieses Leben auf der Flucht ganz extrem. Für manche Szene genügt ihm eine halbe Seite. Diese Extrakte sind wie ein guter Schnaps. Wenige Tropfen genügen, um den Geschmack der Frucht im ganzen Mund zu schmecken, zu spüren. Genauso ist die Schreibkunst Schädlichs. Ihm genügen wenige Sätze, um den Leser vom Schicksal Felix Nussbaums und Felka Plateks das Schicksal so intensiv nahezubringen, dass es einen gefangen nimmt. Dazu nutzt er Briefe, Tagebücher und die Erinnerungen Dritter.
Im Radio sind es auch nur wenige Sätze und die Zitate Dritter, um ganz nüchtern vom hundertfachen Tod der Flüchtlinge zu erzählen. An sie hat man sich gewöhnt. Aber im Kontrast mit „Felix und Felka“ entfalten sie wieder ihre ganze Wucht. Auch deshalb ist dieses Buch nicht nur gut, sondern notwendig. Denn es zeigt ganz implizit, weshalb wir ein Asylrecht haben. Und dass humanitäre Werte universal gelten müssen.