Zwei Monate quer durch Deutschland – das war der Plan von Christine und Heinrich Gondela. Von Bremen über Braunschweig, Leipzig, Meißen nach Dresden. Und dann weiter durchs Elbsandsteingebirge nach Karlsbad, Bayreuth, Bamberg und Würzburg in Richtung Heidelberg und die Pfalz, um schließlich über Frankfurt und Marburg, Kassel, Hannover zurück nach Bremen. Eine Reise, bei der sich ein Bremer Senator und seine Frau auf die Suche nach Sehenswürdigkeiten aus Kultur und der Natur machten.
„Auf die Reise ins Paradies – Das Reisetagebuch von Heinrich und Christine Gondela aus dem Jahr 1802“ ist ein echtes Fundstück. In der Bremer Staats- und Universitätsbibliothek ist die Handschrift entdeckt und Michael Rüppel herausgegeben worden. Insofern erscheint der Text tatsächlich jetzt zum ersten Mal. Denn die Gondelas hatten ihn nur für den privaten Gebrauch angefertigt. Er ist in schriftlicher Form das, was noch vor wenigen Jahren Fotoalben von Urlaubsreisen waren. Zwar hat Heinrich Gondela auch einige Zeichnungen angefertigt, doch die Füller der Eindrücke ließen sich nur schriftlich festhalten. Da ein Urlaub vor mehr als 200 Jahren noch nichts Selbstverständliches war, legte das Ehepaar großen Wert darauf, noch viele Jahre von der Reise zehren zu können. Deshalb schrieb auch Christine das Tagebuch auf. Ihre Schrift war gut leserlich, anders als die ihres Mannes.
Die Bremer hatten ein Ziel im Süden: Christine brachte ein Weingut im Badischen in die Ehe mit ein. Hier wollten sie hin. Aber der Weg dahin sollte nicht direkt sein, sondern den Blick für Neues eröffnen. Was sie zum Beispiel über Dresden schreiben, lässt sich teilweise noch heute nacherleben. Etwa der Besuch der Kunstgalerie, der Frauenkirche oder des Grünen Gewölbes. All das beschreiben die beiden ganz genau – bis hin zu einzelnen Bildern aus der Galerie. Aber etliches ist für uns heute natürlich auch ganz fremd. Vor allem die Beschreibungen des Reisens selbst. Ob Achsbrüche, schlechte Straßen oder die Einkehr in den Poststationen, wo die Pferde gewechselt wurden. Auch diese Aspekte der Reise schildern Christine und Heinrich Gondela ganz genau – uns ermöglichen uns so einen faszinierenden Blick ins Reisen des frühen 19. Jahrhunderts.
Mindestens genauso spannend ist das, worauf sich die Reisenden neben Natur und Kultur noch konzentrieren. In Bamberg und Würzburg besuchen sie die Spitäler. Das Bamberger galt damals als das modernste Deutschlands und das Julius-Spital in Würzburg stand ihm nicht viel nach. Wer käme von uns auf die Idee, seinen Urlaub mit dem Besuch von Krankenhäusern zu verbringen? Für uns heute sind diese Aspekte des wunderbaren Reisetagebuchs ein echter Gewinn. Insgesamt entsteht ein Zeitpanorama Deutschlands von 1802. Denn die Gondelas nehmen auch die politischen Diskussionen der Zeit auf. Etwa die Besetzung der Bistümer Bamberg und Würzburg durch bayerische Truppen, die beide ein Jahr später Bayern zugeschlagen wurden. Oder die Frage, die die Heidelberger bewegte, ob die Pfalz bayerisch bleibt oder zu Baden kommt. All das schildern die beiden mit Klarheit.
„Die Andere Bibliothek“ hat das Buch mit vielen Stichen aus den frühen 19. Jahrhundert ergänzt. Für uns, die wir eher Fotoalben als Reisetagebücher gewohnt sind, eine schöne Ergänzung für die Augen und die Vorstellungskraft.
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