Fritz Picard ist einer der Menschen, die einen völlig verblüffen. 1888 am Bodensee geboren, lernt er schon als Schüler Hermann Hesse kennen. Später in seinem Leben als Verlagsvertreter lernt er nicht nur die Avantgarde Berlins im Café Größenwahn von Else Lasker-Schüler über Walter Mehring und Kurt Tucholsky kennen. Er verhandelt mit Max Liebermann und etlichen anderen Künstlern.
Das allein wäre es schon wert, erzählt zu werden. Aber Fritz Picard begleitete als Soldat im 1. Weltkrieg die wohl seltsamste Zugfahrt durch das Deutsche Reich überhaupt: Von Zürich aus über die Grenze bei Konstanz bis zum anderen Ende des Reichs sicherte er Lenin auf dem Weg vom Exil nach Petersburg. Und nach der Machtübernahme durch die Nazis war er der Mittelsmann des Komitees, das für den Friedensnobelpreis für Carl von Ossietzky warb, der sich trotz direkter Warnung von Walter Mehring geweigert hatte, das Land zu verlassen. Anders als die meisten Freunde Ossietzkys hatte Picard Berlin noch nicht verlassen. Aber natürlich musste auch er ins Exil.
Nach dem Krieg eröffnete er in Paris ein Antiquariat, das zu einer Anlaufstation für ganz viele Exilanten wurde. In den späten 1960er-Jahren lernte ihn dort Dieter Sander kennen, der damals in Paris arbeitete. Trotz des Altersunterschieds entstand eine Freundschaft. Jetzt hat Sander auf diese Begegnungen zurückgeblickt und eine biografische Erzählung geschrieben: Fritz Picard – Ein Leben zwischen Hesse und Lenin. Kern des Buches ist ein langes Interview, das Sander 1968 mit Picard aufnahm. Teile davon sind hier abgedruckt und von Sander erläuternd eingeordnet. Sander standen zudem Teile des Briefwechsels Picards etwa mit Annette Kolb oder Walter Mehring zur Verfügung. All das allein lohnt sich zu lesen. Aber die unmittelbare Kraft der Worte des bescheidenen Fritz Picard in dem Interview sind der Höhepunkt. Auch, wenn manche Erinnerung nicht mehr ganz genau war. Aber das erläutert dann Dieter Sander. Etwa, wenn es um die Begegnung Picards mit Franz Kafka geht. Der Band ist eines der Bücher, die dafür sorgen, dass unser kollektives Gedächtnis viele Einzelheiten behält. Und das ist sehr verdienstvoll.
Dieter Sander: Fritz Picard – Ein Leben zwischen Hesse und Lenin; Klipphausen: Mirabilis Verlag 2014. 16,80 Euro.