Erstaunlich wie modern dieser Roman ist. Sabahattin Ali schildert in „Der Dämon in uns“ wie in Istanbul ein junges Paar an sich scheitert. Ömer und Macide wagen das Ungeheuerliche: Sie lieben sich, ziehen zusammen und leben als Paar. Und das ohne Trauschein und ohne den Segen der Familien. Was uns heute so selbstverständlich vorkommt, war in der Türkei in den 1920er oder 1930er Jahren noch eine absolute Ausnahme. Sabahattin Ali macht aus diesem Stoff keinen billigen Liebeskitsch, sondern einen spannenden, packenden Istanbul-Roman, der 1940, dem Jahr des Erscheinens, zum einen für den Aufbruch in die Moderne stand, zum anderen aber auch einen Hauch von Mahnung in sich enthielt.
Denn das Paar scheitert weniger an der Umwelt, als vielmehr an sich selbst. Die genommene und gewählte Freiheit erfordert auch die nötige Verantwortung, um sie leben zu können. Doch genau daran mangelt es Ömer. Er kann sich weder dazu aufraffen, sein Studium endlich zu beenden, noch den Job bei der Post richtig anzunehmen. Ihn zieht es immer wieder zu seinen alten Freunden, die durch die Kaffeehäuser ziehen, Politik diskutieren und sich in endlosen Debatten über Literatur und Kunst verlieren. In diesem Freundeskreis verliert er letztlich auch seine Unschuld, nicht in der Beziehung mit Macide. Er wird kriminell, lässt sich in umstürzlerische Händel verstricken und schafft es nicht, in der Liebe Halt zu finden.
Als Sabahattin Ali diesen enorm modernen Roman schrieb, in dessen Tradition später auch Orhan Pamuk von und aus der Stadt am Bosporus erzählte, war der Stoff und die Form für die Türkei neu. Seine Modernität, seine klare Sprache macht ihn auch heute noch lesenswert. Angesichts des religiösen Rollback durch Recep Tayyip Erdoğan bekommt das Buch sogar eine ganz neue Wucht. „Der Dämon in uns“ ist schon vor einige Jahren in der Türkischen Bibliothek des Unionverlags erschienen. Es lohnt sich wirklich.