Wenn bei „Quizduell“ oder Günther Jauch nach dem Rhodopengebirge gefragt würde, dann müssten wir fast alle passen. Wer kennt diese Landschaft Europas schon? Und wer hat sie schon besucht? Obwohl das Gebirge nicht weit weg vom nördlichen Rand der Ägäis liegt, kommt dort kaum einer hin. Es liegt in Bulgarien – und damit trotz EU-Mitgliedschaft vollständig außerhalb der Welt Europas.
Ilija Trojanow kommt aus der Gegend zwischen Donau und Rhodopengebirge. Hier ist seine Heimat. Hierhin ist er zusammen mit mit dem Fotografen Christian Muhrbeck aufgebrochen, dessen schwarz-weiß Fotos die Erzählungen Trojanows in „Wo Orpheus begraben liegt“ nicht nur bebildern, sondern dem Leser einen ganz eigenen Zugang erlauben. Iljanow erzählt von alten Familienbanden, von Armut und Stolz, von Opfern von Zwangsprositution und von einem Paar, das sich in eine Hütte im Wald zurückgezogen hat, weil es aus dem Laben davor vertrieben wurde.
Ein Priester beichtet von seinem Geheimdienstmitarbeit und der Bespitzelung der Gemeindemitglieder. Ein Stadtführer, der sich dafür einsetzt, dass die Denkmäler aus sozialistischen Zeiten umgewidmet und neu definiert werden, erzählt uns seine Sicht von der Kraft der Bilder und Erinnerungen. All das erzeugt zusammen mit den klaren Fotos einen starken Eindruck von dieser für uns fremden Welt, die in vielem doch so ähnlich ist. Vor allem zur ehemaligen DDR, aber auch zu ehemaligen Industriestädten des Ruhrgebietes. Trojanows Wandelbarkeit erzählt die Geschichten in stets anderem Tonfall, anderem formalen Aufbau. Angesichts der Vielfalt ist das angebracht. Ein Buch, das die Vergänglichkeit mit viel Liebe zu den Menschen besingt. Denn auch darum geht es: um Orpheus, den Sänger. Der lebte und starb in dieser Region, die einst der Rand der griechischen Welt war.