Ein Tag in Erzurum

Ein Tag in Erzurum (April 2011)

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Ein Tag in Erzurum (April 2011)

Die Zitadelle liegt an einer sehr schmalen Straße. Hier ist richtig Altstadt. Es gibt alte Holzhäuser und Kopftücher überall. Auf dem kurzen Stück von der Zitadelle zurück zur Hauptstraße findet sich rechterhand eine Moschee oder ein Kulturverein, in den nur bekopftuchte Frauen gingen. Für den westlichen Beobachter wirkte das befremdlich; auch weil die Frauen mich nicht anblickten. Sie schauten allenfalls auf meine Schuhe. Und das machte mich wiederum so verlegen, dass ich mich nicht mehr traute, genau hinzuschauen. Und deshalb weiß ich nicht, ob es eine Moschee oder ein Kulturverein oder gar ein Frauen-Hamam war, in das sie alle verschwanden.

Links neben der Ulu-Moschee öffnet sich von der Zitadelle kommend ein Platz. Auf ihm steht eine Besonderheit: eine Medresse mit je einem Turm rechts und links neben dem Tor. Diese Koranschule ist heute nur noch für Besichtigungen offen. Gelehrt wird nicht mehr in ihr. Sie scheint aus der gleichen Zeit zu stammen wie die Moschee. In ihr ist alles um einen Kreuzgang angeordnet. Der Platz in der Mitte ist frei, doch rechts findet sich eine erhobene Fläche, auf der der Koranlehrer einst dozierte. Rechts und links davon sind die Türen, die in die kleinen Zimmer der Studenten führten. Am Kopfende ist das Grab einer Frau, offenbar der Stifterin der Schule.

Nun wirkte das bei mir alles sehr entrückt, weil ja alles voller Schnee war, aber im Sommer kann sich hier ein Eindruck davon verfestigen, wie die Islamlehrer ausgebildet wurden, um die Religion zu verbreiten. Der karge Raum verstärkt den Eindruck der Entbehrung. Aber wahrscheinlich ist das zu sehr aus dem Jetzt gedacht. Mittelalterliche Klöster waren auch kein Ort der Abwechslung. Auch bei uns waren die Häuser und Schulen aus heutiger Sicht eher entbehrungsreich.

Ein Mann um die 50 hat mich dann auf Englisch angesprochen. Nach meiner Antwort ist er sofort ins Deutsche gesprungen. Er hat mir seine Geschichte erzählt, wie er um 1980 als kurdischer Flüchtling für fünf Jahre in Dortmund gelebt hat. Die Zeit hat er genutzt, um Deutsch zu lernen. Er war neugierig und aufgeschlossen. Politisch hat er davon geträumt, dass der Nationalitäten-Quatsch ein Ende haben möge, damit sich alle Menschen darauf konzentrieren können, um zu sich selbst zu finden und damit auch die anderen besser wahrnehmen können. Das galt auch für die kurdischen Parteien. Die hält er inzwischen für genauso falsch wie die Parteien, die für ein geeintes Türkentum kämpfen. Es könne doch nur darum gehen, dass alle Menschen, die in einer Region oder einem Land leben, die gleichen Rechte und Pflichten hätten. Deshalb sei kurdischen Nationalismus genauso falsch wie türkischer, deutscher oder sonst einer auf der Welt.

Das Gespräch war sehr angenehm, da er gar nicht aufdringlich war. Auch nicht, als er sagte er sei Teppichhändler und würde mir seinen Laden gern mal zeigen. In dem Moment regten sich bei mir alle Abwehrreflexe. Doch dann habe ich mich entschieden mitzugehen. Sein Laden ist gleich in der Gasse rechts von der Medresse. Er zeigte mir unterschiedliche Stücke und war auch gar nicht sauer, als ich schon anfangs sagte, ich werde nichts kaufen. Der Tee war gut und ich habe einiges über spezielle Tücher aus Erzurum gelernt, über Teppichhandel und Reisen in den Iran und Preisunterschiede zwischen Erzurum und Istanbul. Anschließend hat er mir noch seine neueste Errungenschaft gezeigt: Ein altes Haus, das er saniert hat und in dem jetzt auf zwei Etagen ein Café ist. Die rohen Holzstämme im Inneren haben etwas Befremdliches, aber auch etwas sehr Gemütliches. Wenn ich nicht den Termin in der Schule und tatsächlich auch etwas Hunger gehabt hätte, wäre ich sicherlich noch auf einen Cay geblieben.

So aber ging ich die Hauptstraße zurück und genoss die Sonne. Meine Schuhe sahen ganz furchtbar nach all dem Dreck und Regen und Schnee aus. Deshalb habe ich mir die Schuhe putzen lassen. Im ersten Moment hatte ich ein schlechtes Gewissen. Der reiche Europäer lässt sich vom armen Türken die Schuhe putzen. Das Bild hat schon etwas Perverses. Aber ich benötigte die Dienstleistung. Und so habe ich sie in Anspruch genommen. Was der Mann dann aus meinen Schuhen gemacht hat, ist kaum zu glauben. Nach etwa zehn Minuten glänzten sie so sehr, dass der Grundglanz bestimmt noch tagelang zu sehen sein wird.

Zum Essen bin ich dann in ein Lokal, das einen Dönerspieß in der Waagrechten im Fenster hatte. Schon als ich das Lokal betrat, wurde der Tisch mit Salat und zwei Vorspeisen bestückt. Dann dauerte es gerade mal zwei Minuten und schon bekam ich einen Spieß auf den Teller gelegt. Erst wunderte ich mich, wo der Spieß herkam. Doch dann beobachtete ich den Mann am großen, liegenden Spieß. Hinter ihm ist glühende Holzkohle. Er dreht den Spieß ständig. Mit einem kleinen Spieß sticht er fertiges, überstehendes Fleisch an und schneidet es ab. So füllt sich der kleine Spieß mit immer neuen kleinen Stückchen. Und diese Spieße werden dann durch das Lokal getragen. Und einfach auf die Teller der Gäste gelegt.

Bis man Nein sagt. Erst dann ist Schluss. Das Essen war sehr gut, aber allzu viel konnte ich nicht zu mir nehmen. Schade eigentlich. Der türkische Kaffee zum Schluss rundete das Mittagsmahl ab. Und dann half mir die ganze Belegschaft – es waren mindestens sechs, die ich mit nur 11 Tele für das reichliche Mittagessen plus Cola und Kaffee entlohnen sollte – einen Taxifahrer zu organisieren. Zwischenzeitlich wurde mir ein Handy ans Ohr gehalten, aus der eine Männerstimme sagte, ich könne immer anrufen. Ere würde sich um mich kümmern und mir alles zeigen in der Stadt. Aber ich wollte doch nur in ein Taxi und in diese Schule. Irgendwann klappte es dann auch. Das Taxi fuhr an der neuen Skisprungschanze vorbei, passierte viele neue Häuser und brachte mich schließlich auf einen Campus, der wie ein Ufo wirkte.

Da war alles blitzblank, da zeugte eine moderne, markante Architektur von großem Selbstbewusstsein. In der Schule wurde mir klar, dass das alles zusammengehört. Denn die Schule ist eine Privatschule, die sich zur Aufgabe macht, eine neue türkische Elite in der Peripherie des Landes auszubilden. Dafür gewährt eine Stiftung Stipendien für 80 bis 90 Prozent der Schüler. Um in den Genuss zu kommen, müssen sie bei den landesweiten Abschlussprüfungen nach der achten Klasse eine sehr hohe Punktzahl erreichen. Außerdem ist noch eine extra Aufnahmeprüfung nötig. Dafür kommen sie in eine Schule mit Internat, in der jeder Schüler einen eigenen Laptop bekommt und in Klassenräumen lernt, die mit der neusten Technik ausgestattet sind. Zudem wurde mir gesagt, dass die Klassen in der Regel 16 bis 18 Schüler haben. Wichtig ist den Lehrern offenbar, dass die Schüler auch lernen selbstständig zu denken. Für türkische Schulen ist das nicht selbstverständlich.

In der Regel geht es dort um abfragbares Wissen. Meine Übung war großartig. Die Schüler machten mit, stellten mir Fragen und waren auch sonst nicht nur neugierig. Nein, diese Schüler stellten auch immer wieder in Frage, was ich sagte. Und so war der Lerneffekt bestimmt noch besser, weil ich mir stets neue und noch überzeugendere Argumente einfallen lassen musste. Nach der Übung führte mich die Lehrerin noch zum Generaldirektor. Denn es gibt an der Schule neben dem Direktor auch diesen Mann, der dafür zuständig ist, die nächsten vergleichbaren Schulen in Van und einigen anderen Städten zu planen. Er selbst war Präsident einer Istanbuler Universität, war mehrere Jahre Gründungsrektor einer türkischen Uni in Kirgisien (wenn ich richtig aufgepasst habe) und auch sonst ein sehr weltgewandter Mann.

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