Bei einer Wahl ist das ganze Volk zu besichtigen. In der Loge sitzen die Wahlhelfer. An ihren Tischen flanieren Mitbürger vorbei, die das ganze Jahr nicht zu sehen waren. Aber für die meisten Menschen ist das Ereignis weit mehr als das Einwerfen eines Stück Papiers in einen Plastikbehälter.
Da ist der Erstwähler, der cool seinen Ausweis zückt, um sich fürs erste Mal zu registrieren. Doch als er den Wahlzettel in die Urne stecken will, knickt der um, will einfach nicht rein. Mit jedem Versuch, den Stimmzettel durch den Schlitz zu bugsieren, verfärbt sich sein Gesicht stärker ins Rot. Ist ja auch zu dumm, wenn man beim ersten Mal auf Ratschläge eines väterlichen Typs hören muss.
Oder das alte Ehepaar. „Vati, hast auch Deine Brille dabei?“ Schon steht eine ältere Dame hinter ihm in der Wahlkabine. Auf den Hinweis, dass die Wahl auch für Ehepartner geheim ist, folgt: „Da hast Du es Mutti. Ich kann das allein.“ Auch wenn er nicht allein an die Brille denken kann. Denn die braucht der alte Herr doch von seiner Frau.
Seit 15 Minuten sitzt der Mittvierziger auf dem kleinen Schulstuhl hinter der Sichtblende. Eigentlich muss er doch nur vier Kreuze machen. Warum dauert das so lang? „Ist jetzt die Erst- oder die Zweitstimme die wichtige?“, tönt es auf einmal aus der Kabine. Und als die Kreuze gemacht sind, sind seine Hände ganz feucht. So viele Parteien, so viele Kandidaten – und so viele Jahre, bis die Entscheidung korrigiert werden kann.
Das Problem hat die Mutter mit Baby nicht. Bei ihr muss es schnell gehen, denn als sie sich hinsetzt, fängt das Kleine an zu schreien. Während für sie die Wahl ganz wichtig ist, erzeugt die Politik bei ihm Verdruss. Aber für die meisten ist das Wählen etwas Besonderes. Viele sind schick angezogen. Andere unterbrechen die Radtour. Allen gemein ist ein Gefühl für den außergewöhnlichen Moment, in dem sie zum Souverän werden, der entscheiden darf.