Mit Schlump durch den 1. Weltkrieg – das ist große Literatur

Hans Herbert Grimm: SchlumpEmil Schulz hat einen Spitznamen. Er wird Schlump genannt. Das klingt ein bisschen wie Lump und etwas wie Schussel. Wie letzteres bewegt sich Schlump durch den 1. Weltkrieg. Er ist der einfache Soldat, der in der Etappe und im Schützengraben den gesamten Krieg an der Westfront erlebt. Hans Herbert Grimm hat den Roman „Schlump“ 1928 veröffentlicht. Gegen Remarques „Im Westen nichts Neues“ konnte er sich nicht durchsetzen, obwohl er vielfach sehr positiv rezensiert worden war. Im Mai 1933 landete „Schlump“ auf den Scheiterhaufen der Nazis. Und anschließend wurde das Buch vergessen. 

Die Tränen von Simplizissimus Günter Grass

Dass Günter Grass (78) bei der Waffen-SS war, weiß inzwischen jeder. Jetzt streitet sich die Öffentlichkeit darüber, ob sich Grass richtig erinnert hat. Doch diese Diskussion hat nichts mit dem autobiografischen Roman „Beim Häuten der Zwiebel“ zu tun. Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat keine Autobiografie geschrieben. Auf den gesamten 480 Seiten spielen Zitate oder historische Quellen keine Rolle. Grass hat einen Lebensroman über sich selbst geschrieben.

So wie er das in der „Blechtrommel“ und dem Rest der „Danziger Trilogie“ auch schon getan hat. Nur diesmal hat die literarische Figur den Namen Günter Grass. Gerade am Beispiel des vierten Kapitels „Wie ich das Fürchten lernte“ zeigt sich sehr deutlich, in
welchem Maße der gesamte Text Literatur ist. Der Günter dieses Kapitels ist ein Wiedergänger der barocken Romanfigur Simplicius Simplizissimus. Genau wie dieser
bewegt sich Günter eher traumwandlerisch durch die Welt des Militärs und des Krieges.

Simplizissimus übersteht dank seiner Einfalt den 30-jährigen Krieg. Der junge Soldat der Waffen-SS, Günter Grass, stolpert durch die Abwehrschlacht von Spremberg 1945. Erst in der Gefangenschaft beginnt er zu denken. Ähnlich wie Simplizissimus treibt Günter dann auch durch das Nachkriegsdeutschland. Er übernimmt verschiedene Jobs in unterschiedlichen Regionen. Und so wie Simplizissimus nie mehr in den Spessart zurückkehrt, weil das der Krieg unmöglich machte, kann klein Günterchen nicht zurück
nach Danzig.

In der zweiten Hälfte dieses sprachlich-formalen Barock-Romans beginnt sich Günter zu bilden. Mit der Bildung wachsen die Zweifel am bisherigen Leben – auch diese Haltung nimmt Simplizissimus als Ich-Erzähler von Grimmelshausens Roman ein. Ob diese Form des Erinnerns und Offenbarens dunkler Stellen in der eigenen Biografie die moralisch
richtige ist, kann bezweifelt werden. Sicher aber ist, dass es Grass so schafft, eine für ihn angemessene Form zu finden. Da sich die Kritiker an Grass‘ spätem Bekenntnis nur mit Fakten auseinandersetzen, gehen sie dem Schelm Simplizissimus Günter auf den literarischen Leim. Denn durch die Kunst entzieht sich der Mensch Grass den Fakten, über die er dennoch Tränen vergießt.

GÜNTER GRASS: BEIM HÄUTEN DER ZWIEBEL. STEIDL. 24 EURO.