Melancholie durchzieht jede Seite dieses dünnen Bandes. Bora Cosic teilt dieses Gefühl mit seinen Lesern. In „Eine kurze Kindheit in Agram“ erinnert er an die Stadt, die bei seiner Geburt 1932 noch nicht Zagreb war. Er lässt sich noch einmal ein auf diese Stadt, in der das untergegangene Reich der Habsburger noch immer lebt, obwohl die Stadt seit 14 Jahren Teil Jugoslawiens war.
Cosic tappt nicht in die Falle, aus der Perspektive des Kindes hochtrabende rückwärtige Interpretationen seines Lebens und das seiner Eltern anzustellen. Vielmehr nimmt er konsequent die Perspektive des Kindes ein. Naiv und neugierig blickt er auf die Welt, die ihn umgibt. Zunächst ist das nur eine Wohnung, später einige Straßenzüge und am Ende fast die gesamte Stadt. Natürlich weiß Cosic, der zu den wichtigsten serbischen Autoren der Gegenwart zählt, dass auch diese Perspektive nur ein literarischer Kniff ist. Aber er nutzt ihn, um den Lesern der Gegenwart mit den Augen des Kindes die Brüche erlebbar zu machen, die noch vor dem Ende seiner eigenen Kindheit zur Katastrophe führten.
1941 marschiert die Wehrmacht in Agram ein. Die Kindheit in der gewohnten Entwicklung ist für Cosic damit vorbei. Schon vorher spiegelt sich das historische Drama im Erleben der Familie. Während der Vater lacht, wenn er mit anderen Frauen tanzt, weint die Mutter. So wird die Familie immer ein Spiegel der Außenwelt, die der Bub für sich entdeckt. Natürlich kann er mit Daten nichts anfangen. Aber für die Leser sind viele geläufig. Cosic tritt so mit den Lesern in Dialog und erweitert die Perspektive des Kindes auf die der politischen Realität. Dass ihm das gelingt, ohne jemals Politik zu thematisieren, zeigt die hohe Kunst des Serben, der seit Milosevics Kriegen in Berlin lebt.