Martin Suter baut einen Krimi um eine Sage

Martin Suter: Der Teufel von MailandEigentlich wollte ich ein Buch über Mailand. „Der Teufel von Mailand“ lockte mich. Doch dann habe ich einen Krimi ohne Kommissar oder Detektiv aus einem Wellness-Hotel in einem Dorf in der Schweiz gelesen. Martin Suter hat mich zumindest so gefesselt, dass ich das Buch trotz meiner Enttäuschung nicht weglegte.

Ferdinand von Schirach seziert das Offensichtliche

Ferdinand von Schirach: Tabu
Ferdinand von Schirach: Tabu

Ein Mordfall ohne Leiche. Ja selbst ohne Vermisste, das ist der Stoff, um den Ferdinand von Schirach in „Tabu“ einen verwirrenden Roman baut. Der Anwalt, der mit seinen Erzählungen von Kriminalfällen inzwischen Weltruhm erlangt hat, baut seine Geschichte rund um Wahrnehmung und Sehen am Beispiel eines Fotografen auf. Was ist Oberfläche? Was ist Tiefe? Oder anders gefragt: Was ist nur oberflächlicher Schein und was ist Wahrheit?

Sebastian von Eschburg stammt aus verarmten Adel, geht in einem Nobelinternat zur Schule und vertieft sich in Bücher, weil er, der beziehungslos und als Halbwaise abgeschoben aufwuchs, die Beziehung zu Menschen nicht bereit ist einzugehen. Hochintelligent eignet er sich das, was er will enorm schnell an und wird so zu einem international gefeierten Fotografen. Das bringt ihm nicht nur Geld und Ruhm ein, sondern auch den ersten Kontakt zu seiner ganz großen Liebe. Das alles erzählt von Schirach präzise und knapp. Er schmückt nicht unnötig aus, aber alles was er schreibt hat tatsächlich eine Bedeutung.

Die wird erst im Laufe des Romans sichtbar, als Sebastian von Eschburg wegen Mordes angeklagt ist. Alles sieht so aus, als habe es in seiner Wohnung tatsächlich einen Mord gegeben. Aber es fehlen Opfer und Leiche. Nicht einmal der Name einer Vermissten lässt sich für die Ermittler feststellen. Nur einen Hinweis gibt es: das Blut, das in der Wohnung gefunden wurde, stammt von einer Halbschwester von Eschburgs. Ferdinand von Schirach, der erfahrene Anwalt, komponiert den Prozess wie ein Theaterstück als Inszenierung. Und das zurecht. Denn der ganze Fall erweist sich als eine großartige Inszenierung, in der der Schrecken wohl kalkuliert eingeplant ist. Und so entsteht ein Roman über Kunst und die unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung. Ein großer Roman über die Wahrheit. Und das voller Spannung.

Friedrich Ani schickt Tabor Süden in den Neonazi-Sumpf

Friedrich Ani: M
Friedrich Ani: M

Tabor Süden ist fast schon so jemand wie Miss Marple. Die Romane mit ihm als Helden gehen langsam in Richtung Dutzende. Und dennoch hat  Friedrich Ani immer wieder neue Ideen für seinen kauzigen Privatdetektiv, der lange als Kommissar Vermisste suchte, bevor de rzum Privatdetektiv mutierte. Im aktuellen Buch „M“ schickt Ani seinen Süden auf die Suche nach einem Mann, der sich mit Neonazis eingelassen hat.

Sören Bollmann macht Frankfurt und Slubice zur Krimi-Stadt

Sören Bollmann: Mord inder halben Stadt
Sören Bollmann: Mord inder halben Stadt

Mord in der halben Stadt“ heißt der Debüt-Krimi von Sören Bollmann. Er schildert den ersten Mordfall des Frankfurter Kommissars Bernd Matuszek und seines Slubicer Kollegen Wojtek Milosz. Ein bekannter Frankfurter Bauunternehmer wird ermordet in den Oderwiesen Slubices gefunden. Daraus entwickelt sich ein spannender Fall rund um Prostitution, Stasi-Akten und die Frankfurter Kommunalpolitik. Wobei es nicht um einen Schlüsselroman geht, indem das reale Leben der Stadt verklausuliert geschildert wird. So verfilt, wie Bollmann Frankfurt schildert, ist die Stadt nicht. Bollmann vermeidet zum Beispiel die Nennung echter Parteiennamen. Bei ihm heißen sie „blaue ParteI“ oder orange. Auch die binationalen Verstrickungen sind so nicht passiert, könnten aber tatsächlich auftreten. Insofern macht Sören Bollmann alles richtig. Er schriebt einen spannenden Krimi rund um Mord, Bestechung, Prostitution und das mit Kommissaren, die leben, lieben und auch mal abstürzen können.

Veit Heinichen nimmt sich Südtirols Privilegien und Nationalismus vor

Veit: Heinichen: Im eigenen Schatten
Veit: Heinichen: Im eigenen Schatten

Er kann es noch. Veit Heinichen legt mit seinem achten Fall von Proteo Laurenti wieder einen richtig guten Krimi aus Triest vor. Nach dem etwas lustlosen letzten Fall ist „Im eigenen Schatten“ wieder ein Buch, in dem Politik, Kriminalität und das besondere Zeitgeschehen an der Grenze Italiens zu Slowenien und Kroatien eine wunderbare Melange eingehen. Da fühlt sich auch Proteo Laurenti wieder so wohl, dass die kroatische Staatsanwältin ihn auch wieder attraktiv findet.

Fuck off Bad Fucking

Bad Fucking
Bad Fucking

Die ersten Seiten dieses Krimis machen Lust. Kein Wunder. Bei diesem Titel. Aber je länger die Erregung anhält, umso schlechter fühlt sie sich in diesem Fall an. Sie wird schal. Und hinterlässt ein Gefühl von Plastik im Mund. Kurt Palm spielt in seinem Krimi „Bad Fucking“ mit allen Elementen der Erregung.

Das beginnt beim plakativen Titel, geht weiter mit einer ganzen Truppe von Cheerleadern, deren knappe Bekleidung die Herren des trostlosen Kaffs in Wallung bringt und macht auch nicht vor der Lust des Voyeurs am Schmerz anderer halt. Insofern könnte das Buch packend und fesselnd sein. Doch der Trieb Palms, aus jeder Situation noch einen Witz zu ziehen, verhindert das. Was am Anfang noch nach gutem, bösen, schwarzem und überzogenem Humor aus Österreich wie bei Alfred Dorfer oder Josef Hader wirkt, wird von Seite zu Seite immer öder. Selbst die sich aufbauende Spannung mag man nicht mehr lesen.

Erschütternd ist, dass dieses Buch den „Glauser-Preis“ für den besten deutschsprachigen Krimi bekommen hat. Entweder die Jury ist von allen guten Geistern verlassen oder sie hat Sehnsucht nach etwas Humor in solchen Romanan. Wahrscheinlich haben sich die Juroren aber gedacht: Fuck off. Warum sollen wir Bücher von Anfang bis Ende lesen, die solch geile Titel haben. Da der Leser die ohnehin kauft, pappen wir noch unser Logo drauf und machen so den Preis bekannter! Dass der Leser im Buchladen wirklich zuschlägt, bleibt zu befürchten. Deshalb warne ich hier ausdrücklich davor. Dann doch lieber die zehn Euro aufheben und sich ein gutes Buch kaufen.

Kurt Palm: Bad Fucking – Kein Alpenkrimi. rororo

Bei Truman Capote bekommen die Opfer handgeschnitzte Särge

Truman Capote: Handgeschnitzte Särge
Truman Capote: Handgeschnitzte Särge

In einem vergessenen Ort der USA geschehen Morde. Die Opfer werden auf ihr Ende vorbereitet: Der Täter schickt ihnen handgeschnitzte Särge. Die Polizei ermittelt über Jahre. Und Truman Capote ist immer wieder vor Ort. Das ist der Stoff des kleinen Büchleins „Handgeschnitzte Särge – Tatsachenbericht über ein amerikanisches Verbrechen“.

Der Band aus der schönen Truman-Capote-Reihe bei „Kein & Aber“, die wie die berühmten Moleskine-Notizbücher in Größe und Aufmachung aussieht, enthält eine seltsame Geschichte. Nicht nur, dass die Rolle des Beobachters Capote durch etliche Alkohol-Abstürze in einer wirren Art geschildert wird.

Der Polizist verrennt sich in dem Fall. Er hat eine Ahnung, wer der Täter ist. Und er will ihn unbedingt überführen. Doch trotz seiner jahrelanger Anwesenheit wird sogar in seiner direkten Umgebung gemordet. Diese Situation erzeigt einen seltsamen Lesesog. Man muss wissen, was passiert. Noch dazu, weil uramerikanische Motive eine Rolle spielen. Aber am Ende plätschert das Buch aus. Das liegt am tatsächlichen Fall. Aber auch daran, dass Capotes Exzesse ihm offenbar die Kraft nahmen, ein klares Ende zu formulieren. Dennoch sind die ersten 120 der 156 Seiten es allemal wert, sich vom Exzentriker Capote einnehmen zu lassen.

Mit Espresso schmeckt der neue Veit Heinichen noch besser

Veit Heinichen: Eine Frage des Geschmacks
Veit Heinichen: Eine Frage des Geschmacks

Proteo Laurenti ist inzwischen eine bekannte Krimi-Figur. Dank der Verkörperung durch Henry Hübchen in der ARD ist der Commisario aus Triest einen großen Publikum bekannt. Doch anders als im Fernsehen ist in den Büchern von Veit Heinichen die Stadt Triest der eigentliche Star. Und nicht der Polizist.

Rita Falk kocht einen Krimi mit Winterkarftoffelknödeln

Jede Provinz hat inzwischen mindestens einen Kommissar, der in ihr ermittelt. Dtv schickt jetzt einen weiteren durch Niederbayern. Aber dieser Franz Eberhofer ist besser als die meisten Provinzler. Er ist wunderbar direkt und unkompliziert. Und seine Heimat ist von Rita Falk grandios geschildert. Damit hat Franz Eberhofer die Chance, zumindest als Krimikommissar über seinen engeren provinziellen Wirkungskreis hinaus bekannt zu werden. Sein erstes Auftreten in „Winterkartoffelknödel“ spielt mit all den Klischees, denen sich Bayern ausgesetzt sehen – und mit denen, die sie selbst bis zum Exzess zelebrieren.

Eberhofer führt ein ruhiges Dorfpolizistenleben, nachdem seine Vorgesetzten der Meinung waren, dass er in München nicht mehr tragbar war. Auf seinen ausgedehnten Spaziergängen mit dem Hund entdeckt er eine Leiche. Bei dieser einen beliebt es im Laufe des Buches nicht. Die Familie Neuhofer stirbt einer nach dem anderen. Und eigentlich sieht es immer so aus, als wäre alles natürlich. Doch Ebernshofers Instinkt trügt ihn nicht. Wie auch, denn in der Dorfwirtschaft und im Sportverein schnappt er Dinge auf, die ihn hellhörig machen.

Da dies seinen Vorgesetzten gar nicht passt, sind die klassischen Konfliktlinien von Provinzkrimis gezeichnet. Rita Falk spielt mit diesen, verwirrt den Leser, indem sie ihn auf falsche Fährten lotst und erheitert ihn. Denn diese Provinz ist so lebenswert und doch so eng, dass nicht nur dem Eberhofer oft nichts anderes bleibt, als zu lachen.

Rita Falk schreibt im bayerischen Tonfall. Das mag für ungeübte Leser erstmal schwer sein. Doch wer sich auf diese Grammatik, diese Wortwahl und damit auf diese Lebenshaltung einlässt, der wird mit einem außergewöhnlich großen Lesespaß belohnt.

MOZ-Rezension…

Burroughs und Kerouc lassen Nilpferdekochen

Burroughs/Kerouac: Und die Nilpferde kochten im Becken
Burroughs/Kerouac: Und die Nilpferde kochten im Becken

Ein Debüt-Roman aus dem Nachlass ist eine seltsame Sache. Der Autor wird schon seine Gründe gehabt haben, dass das Buch nicht erschienen ist. Das gilt auch für die schon spektakulär zu nennende Veröffentlichung des ersten Buches von Jack Kerouac und William S. Burroughs.

„Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“ ist nicht nur ein erstaunliches Debüt. Es ist vor allem ein Roman von zwei Autoren, die beide zu den wichtigsten der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts gehören. Zusammen mit Allen Ginsberg sind sie die Vertreter der Beatniks. Sie haben mit ihrem konsequenten Leben abseits des US-Mainstreams einer ganzen Generation gezeigt, dass Karriere, Wohlstand, Glaube und Familie nicht die Grundlagen für ein erfülltes Leben sein müssen.

Beide erzählen aus ihrer eigenen Perspektive von einem Ereignis, das sie selbst erlebt haben. Burroughs nennt sich Will Dennison, Kerouac wählt den Erzählernamen Mike Ryko. Durch die Doppelperspektive beleuchten sie die letzten Tage von Al. Der ist unsterblich in Philipp verliebt und nervt ihn damit. Philipp möchte sich Al entziehen, indem er sich mit Ryko als Matrose einschiffen will, um von New York nach Europa zu fliehen.

Die Leser lernen den Freundeskreis dieser Bohemians kennen, die in der Phase des späten Zweiten Weltkriegs zwischen Universität und Alkohol, zwischen Kunstprojekten und Drogen die Tage und Nächte zubringen. Ganz wichtig sind dabei die erstaunlich oberflächlichen Beziehungen zwischen schwulen Männern, aber auch die zwischen Männern und Frauen. Der Titel des Buches ist ein Zitat aus einem Zeitungstext, das die schwül-überhitzte Atmosphäre des Freundeskreises auf den Punkt bringt.

Burroughs und Kerouac schaffen es, durch ihre konsequent subjektive Perspektive dem Geschehen einen jeweils anderen Ton zu geben. Das geht bis hin zur Ermordung Als durch Philipp. Auch das ist tatsächlich passiert. Am 14. August 1944 er¬stach ein gewisser Lucien Carr einen David Kammerer. Und anschließend ging Lucien Carr zu den Freunden Burroughs und Kerouac, um Hilfe und Trost zu suchen.

Die beiden Autoren haben diese Geschichte zu einem Roman verarbeitet. Dabei bleiben sie nah am Geschehen. Dennoch verdichten sie die Atmosphäre zu einem erstaunlichen Stück Literatur.

Dass ihr Debüt erst jetzt erschienen ist, hat nicht mit minderer Qualität zu tun. Burroughs und Kerouac verzichteten zu ihren Lebzeiten auf die Veröffentlichung aus Rücksicht auf Lucien Carr alias Philipp. Denn der wurde nach einer Haftstrafe ein erfolgreicher Journalist. Doch zum Glück wurde das Manuskript nicht vernichtet, sondern 40 Jahre nach dem Tod Kerouacs und zwölf nach dem von Burroughs veröffentlicht.

William S. Burroughs / Jack Kerouac: „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“, Nagel & Kimche, Zürich 2010, 190 S., 17,90 Euro MOZ-Rezension…