Eine Reise durch Polen entlang einer vergessenen Grenze

Grenzen sind unverrückbar. Nach fast 75 Jahren Frieden in Europa – oder zumindest in dessen größtem Teil – ist dies für viele Europäer eine Gewissheit. Und doch haben sich gerade in Europa die Grenzen immer wieder verschoben. Ganz besonders häufig im Raum zwischen Elbe und Memel. Im Mai 2018 entdeckten Studenten der Viadrina in Frankfurt (Oder) eine Grenze, die es nicht mehr gibt: die zwischen Deutschland und Polen der Jahre 1918 bis 1939.

Die Ergebnisse der Exkursion haben die Studenten mit ihrer Professorin Dagmara Jejesniak-Quast und dem taz-Redakteur Uwe Rada in ein Buch gepackt. „Die vergessene Grenze“ nähert sich nicht nur der Grenze selbst, sondern dem spannungsreichen Zusammenleben von Deutschen und Polen in der Zwischenkriegszeit. Da die Studenten selbst aus beiden Ländern kommen, ist das Ergebnis besonders interessant. Denn bei ihnen ist durch die Bank ein unverstellter Blick auf die Geschichte zu spüren. Die nationale Brille setzen sie alle nicht auf. Angesichts der aktuellen Geschichts- und Identitätspolitik der PIS in Polen ist allein das schon ein Grund, die 27 Texte des Bandes zu lesen.

Von Kattowitz bis an die Ostsee is die Reisegruppe der Viadrina gereist. Deshalb befassen sich die Beiträge mit der Debatte über Oberschlesien, die Rolle Posens/Poznans, die Volksabstimmung in den Masuren  oder mit dem Denkmal auf dem Annaberg. Und natürlich beleuchten sie nicht nur die für die meisten Deutschen unbekannte Geschichte Polens, das sich 1918 nach fast 150jähriger Teilung als Nationalstaat neu gründete, sondern auch die Rolle des deutschen Nationalismus und Nationalsozialismus, der genau diese Staatswerdung zerstören wollte – und es zunächst auch schaffte.

Anhand der Grenze, die ein Ergebnis des Versailler Vertrags war, gelingt es dem Autorenteam, regionale Geschichte mit Kultur-, Wirtschafts- und letztlich auch der Kriegsgeschichte zu verbinden. Der Blick auf das kleine, regionale wird zum Ausgangspunkt für den auf das Große. Ein Studienprojekt bringt den Lesern so aus vielen Perspektiven ein Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte nah, das jeder kennen sollte, der die schwierige Nachbarschaft besser verstehbar macht. Da sind die Wiederholungen zu verzeihen, die sich durch die Vielzahl der Autoren nicht vermeiden lässt.

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