Konstytucja – oder der Riss durch Polen beim Festkonzert mitten in Berlin


Das Konzerthaus am Gendarmenmarkt ist ganz in rot und weiß getaucht. Die Nationalfarben Polens erinnern an 100 Jahre Wiedererlangung der Unabhängigkeit. Und das mitten in Berlin. Einer der drei Hauptstädte, die Polen 123 Jahre von der Landkarte getilgt hatten.

Polens Präsident Andrzej Duda und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ziehen feierlich in den Konzertsaal ein. Die Philharmonie Posen intoniert die Hymnen. Der Botschafter Polens, der zu diesem Konzert Deutsche und Polen, die sich für die Verständigung beider Völker einsetzen, eingeladen hat, erläutert das musikalische Programm. Polnische Komponisten und zu Beginn etwas Beethoven mit Bezug zu Polen prägen das Konzert.

Und dann betritt Andrzej Duda das Podium. Bevor er mit seiner Rede beginnen kann, stehen einige polnische Gäste auf und rufen: „Konstytucja! Konstytucja! Konstytucja!“ Sofort springen andere auf und rufen: „Andrzej Duda! Andrzej Duda! Andrzej Duda!“ In Versmaß und Endreim passt das gut zusammen. Als Inszenierung wirkt es amüsant. Aber natürlich zeigt die Unterbrechung, wie tief die polnische Gesellschaft gespalten ist.

Vor mir sitzt eine Frau. Sie ist um die 40 und eher konservativ gekleidet. Als die Claqueure des Präsidenten aufspringen und ihr „Andrzej Duda! Andrzej Duda! Andrzej Duda!“ rufen, platzt es auch aus ihr hervor: „Konstytucja! Konstytucja! Konstytucja!“ Als sich die Lage so schnell wieder beruhigt, wie sie sich verändert hatte, schaut die Frau um sich. Sie ist erschrocken. Über die Wucht der Emotionen, die der Verfassungskonflikt in Polen auch mitten in Berlin entfacht. Und über ihren eigenen Ausbruch aus der Ruhe des festlichen Rahmens.

Präsident Duda ist auch verblüfft. Aber jetzt hält er sich zurück und gießt kein Öl ins Feuer. Und so dominieren dann doch noch die Melodien der polnischen Komponisten den Abend. Die sind wunderbar harmonisch und manchmal auch aufwühlend. Vor allem „Krzesany“ von Wojciech Kilar am Ende nimmt den Tumult aber noch einmal auf. Hier wird Spaltung akustisch inszeniert, um am Ende im lustigen Klamauk zu enden. Soweit sind die Polen noch nicht. Aber wenn einer ihrer großen Komponisten das Ende des Streits schon in Noten gefasst hat, dann könnten sich die Veranstalter es Konzerts ja ein Beispiel daran nehmen. Dann würde die Justizreform zu einem Witz, über den wir alle nachträglich lachen können, weil er so schlecht war und so dilettantisch inszeniert wurde. Und dann würde die Frau vor mir bestimmt auch wieder herzhaft lachen und sich nicht über sich selbst wundern. 

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