Timm Beichelt erforscht Fußball und Macht

(Foto: Andreas Oppermann)Timm Beichelt liebt den Fußball. Er ist davon fasziniert davon, wie sehr dieses Spiel die Menschen begeistert. Und er versucht zu verstehen, wie es möglich ist, dass trotz Kommerzialisierung, Korruption und Kumpanei mit den Autokraten dieser Welt die Faszination für den Fußball stärker bleibt, als der Widerwillen gegen die miesen Seiten des Sports. Als Politikwissenschaftler hat er genau in dieser Diskrepanz einen spannenden Forschungsgegenstand gefunden. „Ersatzfeldspieler – Zum Verhältnis von Fußball und Macht“ ist das lesenswerte Ergebnis von Beichelts Begeisterung und Forschung.

Jetzt, da die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland vor der Tür steht, ist genau der richtige Zeitpunkt, um sich mit den Frage von Macht und Fußball auseinanderzusetzen. Wladimir Putin will das Großereignis zur Selbstdarstellung nutzen. Er will nach innen zeigen, wie attraktiv sein Russland ist und er will nach außen Eindruck schinden. In Deutschland werden derweil sämtliche Äußerungen von Nationalspielern von der Öffentlichkeit bewertet. Mesut Özil und Ilkay Gündogan verschenken Trikots an den Präsidenten ihrer türkischen Eltern. Erdogans Partei postet die Fotos davon, um sich mit den Stars zu zeigen. All das steht für ein enges Verhältnis von Macht und Fußball. Timm Beichelt, Professor an der Frankfurter Viadrina, hat genau das in seinem Buch „Ersatzfeldspieler“ untersucht.

Erstaunliche Beobachtung

Sein Buch beginnt Timm Beichelt mit einer simplen, aber deutlichen Beobachtung. Die Idee der Olympischen Spiele ist in der Krise. Das Doping, die Nähe zu Autokraten, die fehlende Nachhaltigkeit für immer gigantischere Spiele – all das sorgt für eine Distanz. Die ist so groß, dass sowohl die Bewerbungen um Olypmische Spiele in Berlin, München und Hamburg scheiterten. Aber – und das ist Beichelts Beobachtung – auf den Fußball hat das alles keine Auswirkungen. Obwohl die gleichen Befunde für den Fußball gelten, genießt das Spiel der 22 Männer auf einem guten Hektar Grund weiter wachsendes Ansehen.

Für einen wesentlichen Grund der unangefochtenen Stellung des Fußballs in der Gesellschaft hält Beichelt die Kraft, eine „selektive Heimat“ zu kreieren. Die Identifikation mit dem Heimatverein ist in einer Zeit, in der Bindungen ansonsten verloren gehen, wichtig. Deshalb werden Vereine auch von Kommunen und der Politik unterstützt. Auch wenn das angesichts der wirtschaftlichen Kraft des Systems Fußball im DFB und der DFL äußerst fragwürdig ist.

Heimatgefühle durch Fußball

Aber fast immer sind Fußballspiele die Fernsehereignisse im Jahr, die von den meisten Deutschen gesehen werden. Fußballer sind bei Facebook und Twitter die größte Gruppe unter der Top Ten der User mit den meisten Followern. Und genau das ist wiederum der Grund, weshalb sich die Kanzlerin mit Mesut Özil in der Kabine fotografieren ließ oder weshalb generell die Politik versucht sich mit Fußball(ern) zu zeigen.
Zwischen Zufall und Geld

Die Beliebtheit ist genau der Grund, weshalb der Fußball ein so seltsames Verhältnis zur Macht hat. Auf der einen Seite bietet das Spiel immer wieder die Chance auf Überraschungen, auf der anderen zementieren die Geldströme in FIFA, UEFA, Champions League, Bundesliga und so weiter die Position der großen Vereine. Die Chance auf spannende Zufälle sinkt, wie sich am Beispiel des FC Bayern leicht nachvollziehen lässt.

Neoliberalismus bestimmt den Wettbewerb

Umso erstaunlicher ist für den Autoren, dass es sämtlichen Verantwortlichen so gut gelingt, genau diese Aspekte vor der Öffentlichkeit im Verborgenen halten zu können. Zwar spricht alle Welt über Ablösesummen, aber die Bilanzen der Vereine müssen nicht offengelegt werden. Das wiederum ist ideal, um zum Beispiel der Wirtschaftsoligarchie Russlands Investitionsmöglichkeiten zu bieten. Wie etwa für Gazprom bei Schalke 04 und anderen international bedeutenden Clubs.
Fußball und Macht in Russland

All diese Aspekte – und noch viele mehr – schildert Beichelt kenntnisreich und im Großen und Ganzen auch gut lesbar. Zwar kann er nicht umhin, auch wissenschaftliche Passagen zu schreiben, aber die lassen sich auch gut überblättern. Dann erfährt der Leser enorm viel über die Ausbildung von Nachwuchsfußballern, über den Umgang mit Migranten in der deutschen und in der französischen Nationalmannschaft oder über die Sport- und Fußballpolitik Wladimir Putins und seines alten Petersburger Kontakts Witali Mutko.

Eigene Begeisterung

Wer wissen will, wie der Fußball international aufgestellt ist, lernt in „Ersatzspielfelder“ die Zusammenhänge kennen. Weil Beichelt offensichtlich selbst vom Fußball fasziniert und begeistert ist, liest man aber keine Abrechnung mit dem wunderbaren Spiel. Vielmehr bekommt man eine oftmals erschreckende Analyse des gnadenlosen Neoliberalismus, der im Fußball regiert. Zu guter Letzt versteht man besser, wie Fußball und Macht, Fußball und Geld sowie Fußball und Autokraten zusammenhängen. Eigentlich ist das immer sinnvoll und nicht nur zum Beginn der WM in Putistan.

Timm Beichelt: Ersatzfeldspieler – Zum Verhältnis von Fußball und Macht; edition suhrkamp, 18 Euro.

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