Emilia Smechowski entdeckt den Strebermigranten in sich

Gnadenlos offen ist Emilia Smechowski in ihrem Buch „Wir Strebermigranten“. Sie erzählt ihre eigene Geschichte ohne sich und vor allem ihre Eltern zu schonen. Denn bei der Beantwortung der Frage, warum ausgerechnet die Polen in Deutschland Streber in der Anpassung sind, spürt sie der Motivlage ihrer Eltern nach.

Die Polen haben sich so angepasst, dass sie kaum oder gar nicht auffallen. Deshalb wissen viele Deutsche nicht, dass die zweitgrößte Gruppe der Einwanderer nach Deutschland Polen sind. Millionen von ihnen leben in Deutschland. Ohne sie würden viele Krankenhäuser nicht mehr funktionieren. Aber dennoch sind sie meist nicht sichtbar. Polen sind die zweitgrößte Migrantengruppe in Deutschland. Aber sie haben sich so angepasst, dass sie nicht auffallen.

Emilia Smechowski ist Jahrgang 1983. Sie war fünf Jahre alt, als ihre Eltern aus Polen nach (West-) Berlin flohen. Sie wollten nicht mehr in der kommunistischen Diktatur leben. Dafür nahmen sie den Bruch mit ihrem kompletten Leben in Kauf, weil sie sich fälschlicherweise als deutsche Spätaussiedler ausgaben. Die Familie spricht seit der Ankunft in Westberlin nur noch Deutsch. Vor allem in der Öffentlichkeit soll niemand mitbekommen, dass sie Migranten sind.

Für die Kinder hat das Konsequenzen: Sie müssen besser als die Deutschen sein. Sie müssen alles tun, um ja nicht negativ aufzufallen. Das ist natürlich sehr anstrengend für die gesamte Familie. Denn für Emilia, ihre beiden jüngeren Schwestern und ihre Eltern gibt es eigentlich keine echte Entspannung. Der Preis der Freiheit ist die permanente Anspannung, um ja nicht aufzufallen.

„Wir Strebermigranten“ ist das Ergebnis eines sehr langen Prozesses. Der begann mit der Abnabelung von der eigenen Familie. Mit 16 Jahren ist sie ausgezogen und hat ihr Leben auf eigene Füße gestellt. In der Folge wurde ihr immer bewusster, dass es viele Menschen gab, denen es wie ihr erging. Sie bemerkte die zugewanderten Polinnen und Polen. Emilia Smechowski erkannte, dass all diese Polen wie sie unsichtbar in der deutschen Gesellschaft sind.

Während andere Migrantengruppen erkennbar sind, gehen die Polen in der deutschen Gesellschaft auf. Sie ändern ihre Namen, machen aus einer Elżbieta eine Elisabeth, aus einer Małgorzata eine Magarethe und wandeln die komplizierten Zischlaute im Nachnamen in ein deutsches SCH. Zwar gehen sie noch in den polnischen Gottesdienst, aber das ist oft die einzige Klammer zur alten Heimat. Selbst das Fernsehprogramm wird in Deutsch geschaut und nicht in Polnisch.

Emilia Smechowski erzählt in ihrem Buch ihr eigene Geschichte. Sie ist gnadenlos offen und vermutet, dass ihre Eltern und Schwestern sicherlich nicht alles gern gelesen haben. Aber die studierte Sängerin und praktizierende Journalistin kann aus ihrer persönlichen Geschichte mehr machen, als eine therapeutische Selbstfindungsgeschichte. Sie kann auch abstrahieren und im eigenen Erleben den Kern für Allgemeingültiges einer ganzen Migrantengruppe herausarbeiten.

Außerdem kann sie richtig gut schreiben. Deutsch ist im Lebenslauf zwar ihre Zweitsprache, im Leben aber ihre erste. Sie erzeugt Spannungsbögen, findet die richtigen Metaphern und begeistert mit einem klaren Stil. Wer „Wir Strebermigranten“ liest, weiß am Ende viel mehr über Polen und Deutsche, über Migranten und ihre Nöte und über einen wichtigen Teil der deutschen Gesellschaft. Denn wer das Buch anfängt, wird es auch zu Ende lesen.

Emilia Smechowski: „Wir Strebermigranten“, Hanser Berlin, 22 Euro.

Kommentar verfassen