Alex Capus verbindet drei separate Leben zu einem seltsamen Roman

Alex Capus: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer
Alex Capus: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer

Drei Biografien bündelt Alex Capus in seinem neuesten Roman zusammen. Drei Leben, die es wirklich gab, die vom Autor aber in gewohnt eleganter Form verfremdet werden. Das wäre soweit ganz gut, wenn diese drei Leben auch etwas miteinander zu tun hätten. Haben sie aber nicht. Nur in einem einzigen Moment hätten sich die drei in Zürich treffen können. Oder eben auch nicht. Capus entscheidet sich dazu, dass sie sich nicht begegnen, dass es keinen Kontakt gibt – und die so unterschiedlichen Leben nur über die verflochtenen Erzählstränge zu einem Buch werden.

Berliner Fußballplätze – VfB Hermsdorf

Vom Parkplatz des VfB Hermsdorf sind sie schon zu sehen, die großen Pokale, die der Verein schon gewonnen hat. Sie stehen am Fenster der Vereinsgaststätte und strahlen den Stolz des Clubs aus, genauso wie die vielen Fotos von erfolgreichen Jugendmannschaften. Und natürlich der 1. Mannschaft, die einst Union Berlin im Pokal geschlagen hat und auch sonst auf viele Erfolge zurückblicken kann.

Das Gelände ist in den Vereinsfarben rot und weiß gehalten. Unterhalb des schön im Grünen gelegenen Rasenplatzes ist ein Kunstrasenplatz. Die vielen Sponsoren-Transparente zeugen von der Akzeptanz des VfB Hermsdorf. Hier herrscht eine Atmosphäre von Professionalität. Reiner Spaß ist der Fußball hier nicht mehr. Wer hier spielt, will auch Erfolg. So wie er im Vereinsheim überall ausgestellt ist.

Mehr Berliner Fußballplätze:
SV Schmöckwitz Eichwalde
SSV Köpenick-Oberspree
HSG Blau-Weiß Hohenschönhausen
VfB Einheit Pankow
Poelchau Oberschule Charlottenburg
Borussia Pankow 1960
Blau Gelb Berlin
Frohnauer SC
SV Nord Wedding 1893
SC Borussia 1920 Friedrichsfelde
BSV Eintracht Mahlsdorf
VfB Hermsdorf
FC Viktoria 1899 Berlin
VfB Biesdorf
BSV Hürtürkel
RFC Liberta – Scharnweberstraße
Tennis Borussia Berlin – Hans-Rosenthal-Sportanlage
Concordia Wilhelmsruh – Nordendarena

 

Mit Dieter Hildebrandt zwischen Cottbus und Berlin

Der Zug von Cottbus nach Berlin war an diesem Samstag oder Sonntag sehr leer. In der ersten Klasse saß nur ein Mann, der über seine Zeitung gebeugt sehr konzentriert las. Er schaute kurz auf, als ich die erste Klasse betrat. Ich erkannte Dieter Hildebrandt sofort, grüßte ihn und setzte mich auf einen anderen der freien Plätze.

Am Abend zuvor hatte er in Hoyerswerda aus seinem damals neuen Buch gelesen. In unserer kleinen Zeitung hatten wir das natürlich angekündigt und so saß ich da und ärgerte mich, dass ich den Abend anders verbracht hatte, als ihm zuzuhören, seinen immer wieder unterbrochenen Sätzen zu folgen, bis sie sich verflüchtigten, um dann im Nachsatz, quasi im Verhallen des Gedankengefüges mit einer Pointe fast schon so sanft gefüllt zu werden, dass sie oft erst kurze Zeit später zündeten. Es war ein sonderbares Gefühl, ihm so nah und doch durch die Situation der beiden allein reisenden und lesenden Männer so getrennt zu sein. Immerhin saß ich da einem der Menschen fast gegenüber, der mich fast schon mein ganzes Leben begleitete, dessen Bücher und Programme ich gelesen hatte, dessen Auftritte ich im Fernsehen möglichst immer sah und den live zu erleben damals in Schweinfurt nachhaltigen Eindruck machte.

Es dauerte bis Lübben, bis ich meine Skrupel überwunden hatte und ihn ansprach. Dann siegte die Hoffnung, eventuell mit ihm einige Sätze wechseln zu können, über die Unhöflichkeit des Ansprechens eines Menschen, den man selbst zu kennen glaubt, der einen selbst aber gar nicht kennt. Dieter Hildebrandt schaute auf, lächelte und bot mir sofort den Platz gegenüber ein. Die Zeitung legte er zusammen und dann fragte er mich. Er wollte wissen, von mir wissen, wie stark Neonazis zwischen Hoyerswerda und Berlin verwurzelt sind, als er das Bahnhofsschild „Halbe“ las. Er interessierte sich für die Zerstörung der Natur durch die Braunkohle, für den demographischen Wandel und das kulturelle Leben in der Lausitz. Aber er antwortete auch auf meine Fragen, etwa nach seiner Herkunft aus Bunzlau, seine Erinnerungen daran und die Vertreibung. Da die Vertriebenenvertreter zu den stets gepflegten Objekten seiner kabarettistischen Angriffe gehörten, interessierte mich sein Umgang mit dem Verlust von Heimat ganz besonders. Dieter Hildebrandt erzählte aufgeräumt und schmunzelnd, seine Augen ruhten dabei die ganze Zeit auf dem ihm unbekannten Gesprächspartner. Sie waren offen und voller Interesse am Gegenüber, nicht abweisend oder skeptisch. Nein, sie waren herzlich. So wie dieser ganze Mensch in dieser Fahrt erster Klasse von Cottbus nach Berlin durch und durch herzlich war.

Schade, dass es solche Begegnungen jetzt nicht mehr geben kann. Schade, dass diese Offenheit, Neugier und Herzlichkeit vergangen ist. Schade, dass Dieter Hildebrandt gestorben ist.

Die Lauscher der NSA in der alten Heimat

Es war Anfang der 80er-Jahre, als die Deutsche Bundespost in Hammelburg eine Erdfunkstelle bauen wollte. Satelliten-Verbindungen zum Telefonieren in die Welt und TV-Übertragungen aus aller Welt, das wollte der Vorgänger der Telekom dort abwickeln. Unterschriften wurden gesammelt, im Gymnasium und andernorts diskutiert – und die Nachbarn aus Fuchsstadt ergriffen die Chance, um das Wunderwerk der modernen Kommunikation auf die eigene Gemarkung zu holen. In der Hoffnung auf eine touristische Attraktion machte der Gemeinderat den Weg zum Bau der Anlage frei, während in Hammelburg über die Verschandelung des Saaletals und das Pro und Contra geschlossener, beziehungsweise transparenter, in die Erde eingelassener Parabolspiegel debattierte wurde.

Und dann stand sie da. War als Attraktion nachts sogar beleuchtet, damit die Autofahrer auf der nahen Autobahn das Wunderwerk bestaunen konnten. Bis die Telekom die Parabolspiegel verkaufte. An eine US-Firma, die sich sicher war, dass solche Anlagen doch noch Geld bringen würden. Und dann wuchsen immer mehr Lauscherohren im Saaletal. Immer kleiner wurden sie, viele sind selbst vom Weinberg kaum noch zu sehen. Etwa 50 sind es inzwischen.

Als die Enthüllungen von Edward Snowden bekannt wurden, musste ich sofort an die Erdfunkstelle denken. Schließlich sind es ja US-Firmen, die gesetzlich dazu verpflichtet sind, der NSA und den anderen Geheimdiensten Daten zur Verfügung zu stellen. Aber all die Jahre, in denen ich quasi in Blickweite der Spionage-Lauscher lebte und all die vielen Jahre, in denen ich bei den Spaziergängen auf Heimaturlaub auf sie hinab blickte, war der Gedanke daran nicht vorhanden. Erst Snowden und in der Folge das Rechercheprojekt von Süddeutscher Zeitung und Norddeutschen Rundfunk öffnete die Augen, was da in der Heimat Bedrohliches gewachsen ist. Das ist schon ein seltsames Gefühl, dass es richtig war Anfang der 80er-Jahre gegen die Anlage gewesen zu sein – aber aus einem viel bedrohlicherem Grund, als wir damals dachten.

P.S: Und das alles nur, weil die Luft in Hammelburg so gut ist. Denn deshalb hatte sich die Bundespost das Saaaletal ausgesucht. Wegen der klaren Luft und den wenigen Störungen, die das auf die Satelliten-Kommunikation garantierte.

Karl-Markus Gauß zeigt uns die Entdeckung der Wahrnehmung

Karl-Markus Gauß: Das Erste was ich sah
Karl-Markus Gauß: Das Erste was ich sah

Die Bücher von Karl-Markus Gauß sind immer eine Bereicherung, weil er dem Leser den Blick weitet. Vor allem, wenn er über Europa und seine Vielfalt schreibt. Gauß kennt sich aus in diesem Europa, das schon immer viel stärker einander verwoben ist, als es die nationalstaatliche Brille, mit der wir meist in die Welt blicken, vermuten lässt. Er selbst ist ein Kind von Donauschwaben, die nach dem Krieg in Österreich hängen blieben. Und für die Ungarisch genauso selbstverständlich war wie Serbokroatisch und Deutsch.

Domowe Melodie berauschen mit Humor und viel Gefühl

Auf der Bühne sind sie furios, amüsant und voller Energie. Auf der CD steht bei den selben Songs die Schönheit im Vordergrund. Domowe Melodie spielen Chansons zwischen Jazz und Pop. Und das so schön, dass trotz der Sprachbarriere zwischen Polnisch und Deutsch ein Verstehen der Musik ganz leicht fällt.

Justyna „Jucho“ Chowaniak ist ganz eindeutig der Kopf der Kombo. Und das nicht nur, weil alle Stücke auf ihren Gesang ausgerichtet sind. Ihr Kopf, ihr Gesicht dominiert das Konzert. Sie verzieht es so, dass zwischen Lachen, Weinen und Wahnsinn fast alles möglich ist. So ausdrucksstark ist es, dass das gesamte Publikum im Frankfurter Kleist Forum gar nicht anders kann, als das Lachen, das Weinen, den Wahnsinn genauso zu empfinden. Und vor allem den, den Humor, mit dem sie mit ihren Kompagnons Staszek Czyżewski und Kubą Dykiertem nicht nur musikalisch kommuniziert, sondern vor alle mimisch.

Domowe Melodie ist eine echte Entdeckung links der Oder. Auf der anderen Seite sind die drei innerhalb nur zweier Jahre richtig aufgestiegen. Die ersten Lieder wurden noch im Wohnzimmer aufgenommen. Videos auf Youtube beförderten die Popularität, sodass die polnischen Besucher der Transvocale einige Lieder schon komplett mitsingen konnten. Und das völlig zu recht. Domowe Melodie ist eine echte Entdeckung. Schön wäre es, wenn sie auch in Deutschland ankommen könnten, zum Wohle und Amüsement des Publikums und der drei Musiker.

Bei Wolf Haas ist die Luftmatratze von vor 15 Jahren richtig wichtig

Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren
Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren

Es gibt Schriftsteller, von denen will man schon immer etwas lesen, kommt aber aus etlichen Gründen nicht dazu. Und dann greift man doch noch zu einem Roman von ihnen und ärgert sich. Nicht weil das Buch schlecht wäre. Im Gegenteil! Weil es gut ist und man bedauert, so lange auf das Vergnügen verzichtet zu haben. Wolf Hass ist für mich einer dieser Schriftsteller, die ich viel zu lange nicht gelesen habe! „Das Wetter vor 15 Jahren“ habe ich als Taschenbuch im modernen Antiquariat gekauft – und schon in der S-Bahn konnte ich nicht mehr aufhören.

Dagmar Manzel nimmt das Publikum mit Kurt Weill gefangen

Dagmar Manzel ist selbst dann präsent, wenn sie hinter dem Vorhang ist. Ganz am Anfang senkt sich der Verfolger-Scheinwerfer ganz langsam von der Decke über den Kronleuchter zum Vorhang. Und da immer weiter nach unten, bis er etwa drei Meter über der Bühne verharrt. Ganz langsam zeigt sich der Kopf von Dagmar Manzel, die dazu „Berlin im Licht“ von Kurt Weill singt. Und als sie sich vollständig vor dem Vorhang zeigt und das Lied beendet ist, brandet KEIN Applaus auf. Zu sehr sind die Besucher der Komischen Oper im Bann dieser Frau, als dass sie es wagten, den Zauber ihres Erscheinens zu zerstören.

Sieben Lieder von Kurt Weill singt sie. Bei der Wiederaufnahme der Produktion „Sieben Songs / Die sieben Todsünden“ ist die Reihenfolge geändert. Anders als im Programmheft ist das „Wie lange noch?“ nach dem Text von Walter Mehring das letzte der sieben. Kein Wunder: Es ist das stärkste, das ergreifendsten. Von ihm erfolgt der Übergang zu den Sieben Todsünden“ von Kurt Weill und Bert Brecht. Der Vorhang öffnet sich jetzt und das Orchester ist in diffusem Licht zu sehen. Aber es erscheint keine Tanzgruppe. Dagmar Manzel bleibt allein. Sie spielt und tanzt und singt das eigentlich als Ballett konzipierte Stück aus sieben Liedern zu den sieben Todsünden allein – abgesehen von dem vier Mann starken Männerchor, der in den Logen rechts und links der Bühne steht.

Dagmar Manzel singt die Lieder mit ihrem Alt, obwohl die Lieder eigentlich für Sopran sind. Und sie tanzt die Rolle. Eigentlich ist das getrennt: einer Sängerin als Anna steht einer Tänzerin als Anna gegenüber, um die gespaltene Persönlichkeit besser ausdrücken zu können. Aber das hat die Manzel nicht nötig. Sie ist die gespaltene Anna so sehr, dass das Publikum auch jetzt noch nicht zum Szenenapplaus neigt. Zu sehr gehen Musik, Gesang, Tanz und Spiel unter die Haut. „Die sieben Todsünden“ sind als Aufnahme immer mitreißend, aber hier in der Komischen Oper in Berlin sind sie eher schockierend. Natürlich treiben Rhythmus und der kleine Chor das Geschehen nach vorne, aber die Präsenz von Dagmar Manzel und ihr teils gebrochener Gesang halten die Zuschauer im Jetzt gefangen. Unglaublich. Und großartig!

James Agee und Walker Evans sind ganz dicht an der großen Depression

James Agee, Walker Evans: Preisen will ich die großen Männer
James Agee, Walker Evans: Preisen will ich die großen Männer

Diese Genauigkeit verursacht beim Lesen fast schon Schmerzen. Jedes Detail beschreibt James Agee in seinem Reportageprojekt aus den Südstaaten ganz genau. Da wird nichts übersehen, keine Geruch ignoriert, kein Klang vernachlässigt und kein Geschmack vergessen. 1936, im Sommer, lebte Agee zusammen mit dem Fotografen Walker Evans, bei armen Baumwollbauern in Alabama und Oklahoma. Die Hochphase der großen Depression hatte dramatische Auswirkungen auf die Baumwollwirtschaft. Genau die sollten die beiden recherchieren.