Walter Benjamin kann nichts mit Mehrings Gedichten, Liedern und Chansons anfangen

“Die Gedichte, Lieder und Chansons des Walter Mehring“, die 1929 bei S. Fischer erschienen sind, gefallen nicht jedem. Walter Benjamin schreibt in seiner Rezension, dass ihm das “Unvernünftige, Verbissene, Herbe, Verächtliche, Heimweh und amor fati des Verrufenen” fehlen. Anders als bei Brecht sei die Lyrik Mehrings nicht wirklich groß. De facto bewertet Benjamin die Lyrik Mehrings aber nicht wirklich nach der Qualität der Texte. Es geht ihm vielmehr um die Desavuierung eines Dichters, der sich explizit der kommunistischen Partei verweigerte. Anders als Brecht. Die Wahl einer Textstelle, die tatsächlich nicht zu den starken zählt, ist deshalb weniger Beleg für die Argumentation, als vielmehr Beleg für die Polemik. Und die Suche nach einer so schwachen Textstelle muss Walter Benjamin angesichts der vielen treffenden und sprachlich kraftvollen Texte einige Mühe gekostet haben. Und so erledigt sich die Kritik selbst, da sie nur von Ideologie geprägt ist. (A.O.)

Gebrauchslyrik? Aber nicht so!

Das Chanson, wie es vom Montmartre zu uns heruntergekommen ist, war ein Feuer, an dem der Bohemien sich den Rücken wärmte, jederzeit bereit, einen Scheit zu ergreifen und ihn als Brandfackel in die Palais zu schleudern. Weil aber der Arme alles verkaufen muß, so mußte er’s auch dulden, daß der Reiche sich Zutritt zu seinem Asyl erzwang und sich’s bei einem Feuer gemütlich machte, das darauf brannte, ihn zu verzehren. Das ist der Ursprung des Kabaretts. Schwer ist es den Schülern Aristide Bruants nicht geworden, sich auf die soziale Zweideutigkeit der Gattung einzulassen. Die sexuelle findet sich schnell dazu. Aber auch die Zote war noch Revolte, Aufstand des Sexus gegen die Liebe, und bei Wedekind geht es hart her. Erst recht geht es hart her bei Brecht, dem besten Chansonnier seit Wedekind, und dem lehrreicheren, weil bei ihm um den Waagebalken der Not die beiden Schalen Hunger und Geschlecht gerechter spielen.

Der gesamte Text steht im Walter-Mehring-Blog… 

Eichwalde erhöht die Hortkosten um bis zu 400 Prozent – ohne die Eltern richtig zu informieren

Die Gemeinde Eichwalde schockt gerade die Eltern der Hortkinder. Die Verwaltung hat eine Erhöhung der Gebühren ausgearbeitet und die Gemeindevertreter haben die dann beschlossen. Das ist eigentlich ein normaler Vorgang, vor allem, wenn die Gebühren recht niedrig sind. Nicht normal ist aber das Ausmaß der Erhöhung: Bis zu 400 Prozent klettern die Kosten für die Kinderbetreuung.

Und das geht so: Bislang gibt es die Möglichkeit, Kinder für zehn Stunden in der Woche im Hort anzumelden. In Zukunft ist die Mindestzeit 20 Stunden. Hierin stecken also die ersten 100 Prozent. Da viele Eltern ihre Kinder gar nicht so lange betreut sehen wollen, fühlen sie sich deshalb über den Tisch gezogen. Denn die Gemeinde hat vor einigen Jahren massiv forciert, dass aus der normalen Grundschule eine verlässliche Halbtagsschule wurde. Dort sind die Kinder jetzt schon recht lang betreut. Zehn oder 15 weitere Stunden genügen ihnen deshalb. Ab April sollen die Eltern jetzt also eine Leistung bezahlen, die sie aufgrund der Gemeindepolitik der vergangenen Jahre gar nicht benötigen.

Da die Sätze generell angehoben werden und eine neue Sozialstaffelung greift, klettern die Sätze auf bis zu 400 Prozent. Der Clou bei der ganzen Aktion ist jetzt noch, dass die Gemeinde das den Eltern gar nicht mitteilt. Stattdessen forderte sie auf Zetteln, die den Kindern mitgegeben wurden, die Eltern auf, umgehend eine Einzugsermächtigung zu erteilen. Denn das ist in Zukunft der einzige Weg, auf dem bezahlt werden darf. Auf den Zettlen stand nicht, dass ab sofort unter 20 Stunden nichts mehr geht. Nur das Wort „Hebesatz“ kam vor. De facto will die Gemeinde Eichwalde also, dass die Eltern ohne Kenntnis des Kosterahmens die Konten zur behördlichen Selbstbedienung öffnen.

Ach ja: Es gab keine Elternversammlung im Hort. Es gab keine schriftliche Information. Und es gab und gibt bislang auch kein Gesprächsangebot an die betroffenen Eltern.

 

Schnitzel ist auch nur geröstetes Brot

Wiener Schnitzel mit warmen Gurken-Kartoffelsalat und Preiselbeeren.
Wiener Schnitzel mit warmen Gurken-Kartoffelsalat und Preiselbeeren.

Das Schnitzel gilt ja nach wie vor als der Deutschen liebstes Fleischgericht. In Teilen  Österreichs ist es zudem ein kulinarisches Heiligtum.  Schön flach gelklopft, fein paniert und kurz in Sonnenblumöl goldgelb gebraten ist es auch eine Köstlichkeit. Aber warum  fahren gerade Deutsche so darauf ab?

Es ist die Liebe zum Brot! Nirgendwo gibt es so viele Brotsorten wie hier. Und nach nichts sehnen sich deutsche Reisende mehr, als nach einer Scheibe guten Brots daheim. Denn im Rest der Welt gibt es ja nur lappiges Weißbrot, bestenfalls auch schlappriges Graubrot. Doch dem Deutschen genügt das nicht. Er will kraftvolles Schwarzbrot.

Beim Schnitzel bekommt er das zum Fleisch dazu. Dieses ist so dünn, dass es kaum auffällt. Aber die Panade, diese gebackene Köstlichkeit aus klassischen Teigzutaten ist der eigentiche Grund dafür, das Schnitzel zu lieben. Die Mixtur knuspert wie in Öl geröstetes Brot, wie die leckeren Brotkrümel, wie sie in Knödeln zum besseren Aufsaugen der Soße vorgehalten werden.  Auch hier ist es letztlich das Brot, das den besonderen Genuss ausmacht.

Und das Schnitzel? Was ist ein Schnitzel denn anderes als etwas Fleisch in wunderbarer Teigkruste?

Landschaft, blau und braun

Landschaft, blau und braun
Landschaft, blau und braun

Entstanden im März 2012; gespachteltes Acryl auf eingeschnittener Leinwand mit rotem Glas (mit 30 cm Seitenlänge). Meine Kinder sehen in dem Bild einen Vulkan, Erde und Meer. Aber das ist nur ihre Sicht auf dieses Bild.

Beim Malen gab es auch einen kleinen Unfall…

Fridericiana (I) – Norbert Leitholds Panorama überzeugt

Norbert Leithold: Friedrich II. von Preußen - Ein kulturgeschichtliches Panorama von A bis Z
Norbert Leithold: Friedrich II. von Preußen – Ein kulturgeschichtliches Panorama von A bis Z

Bücher über Friedrich II. gibt es ja derzeit zuhauf. Das von  Norbert Leithold ragt aus dem Biographien, Anekdoten-Sammlungen und historischen Abhandlungen heraus. Denn Leithold hat quasi einen Friedrich-Blog zwischen Bücherdeckel gepackt.

„Friedrich II. von Preußen – Ein kulturgeschichtliches Panorama von A bis Z“ versammelt knappe, aber exakte und noch dazu gut erzählte Texte von „Abenteurer“ bis „Zeitungen und Journale“. Jeder dieser 95 Artikel überzeugt nicht nur durch die Darstellung, sondern vor allem auch durch die Verlinkung mit anderen Texten und teilweise mit weiteren erläuternden Artikeln, die die Zeitumstände beleuchten. All das ist, wie gesagt, wie auf einem Blog verlinkt. Und so springt der Leser nicht unbedingt alphabetisch, wie das Buch geordnet ist, durch die Seiten. Vielmehr kann er stöbern, blättern, erneut nachlesen und so besser verstehen.

Norbert Bleisch, so heißt Leithold eigentlich, hat mehrere Romane veröffentlicht und auch am Ingeborg-Bachmann-Preis teilgenommen. Diese literarische Ausbildung ist jedem Text anzumerken. Denn Leithold/Bleisch erzählt Geschichten – und erleichtert so den Zugang auch zu schweren historischen Themen.

Leithold blendet auch neue Quellen in seine Texte ein. Etwa die Briefe des Grafen Johann Eustach von Goertz (1737-1821), den Prinzenerzieher des Erbprinzen Carl August von Sachsen-Weimar und Diplomaten in Diensten des Weimarer Hofes und von Friedrich dem Großen. Überhaupt ist es erstaunlich, wie viele Quellen zu Friedrich noch gar nicht richtig ausgewertet wurden und auf die Forscher nur warten. Auch davon erzählt Leithold – und davon, was eine neue Quellenauswertung zur Korrektur einer der historisch am häufigsten  von unterschiedlichsten politischen Gruppen und Ideologien missbrauchten Figur der deutschen Geschichte beitragen kann. In den fast 100 Texten kommt deshalb nicht nur ein erstaunlich umfassendes, sondern auch ein sehr facettenreiches Bild des preußischen Königs zusammen. Und ein guter Führer durch das Friedrich-Jahr.

Mehr Fridericiana:
II.  Wohin mit dem Erbstück?
III. Friederisiko zeigt den Preußenkönig in allen Farben
IV. d’Apriles feines Buch über die Aufklärer in Umfeld Friedrichs

Mehr über Bücher der Anderen Bibliothek

„Ich war’s nicht“

Kindlicher Fingerabdruck auf frischem Bild (Ausschnitt)
Kindlicher Fingerabdruck auf frischem Bild (Ausschnitt)

Farbe muss trocknen. Das geht nicht in wenigen Minuten. Deshalb muss ein frisches Bild geraume Zeit für sich haben.

Heute früh aber finde ich diesen Fingerabdruck auf einem neuen Bild. Eigentlich ist es ja der zweite. Denn er ist braun, weil vor dem Fingertest im Blau einer auf einem brauen Teil des Bildes stattfand. Meine Freude über diese Entdeckung hielt sich in Grenzen. In sehr engen Grenzen. Diese Grenzen waren so eng, dass sich in mir wegen des ungehörigen Bilder-Tastens ein gehöriger Druck aufbaute, der mit der Suche nach dem Farb-Grabscher abgebaut werden sollte.

Aber wen ich auch fragte, die Antwort war immer dieselbe: „Ich war’s nicht.“ Viermal hörte ich den Satz. Viermal sah ich in ungläubige Augen. Viermal schallte mir der Satz unschuldig, ja fast beleidigt entgegen. Viermal erhöhte sich dann der Druck in mir. Viermal musste ich tief durchatmen, um wenigestens gelassen zu wirken.

Vor einigen Jahren schenkte die Tante meiner Kinder jedem je ein T-Shirt. Auf jedem steht: „Ich war’s nicht“. Für die Eltern gab es welche mit dem Satz: „Ich auch nicht“. Wie recht sie hatte!

P.S.: Was den Druck angeht: Auch das Schreiben in so einem Blog kann ziemlich entlasten.

Aufdruck auf einem von zwei T-Shirts
Aufdruck auf einem von zwei T-Shirts

Das fertige Bild ist hier zu sehen…

Mehring steuerte Lieder zum Film “Ein Mädel von der Reeperbahn” bei

1930 ist der Film “Ein Mädel von der Reeperbahn” von Karl Anton als deutsch-tscheslowakische Koproduktion erschienen. Walter Mehring hat dazu Lider beigesteuert. Auf dem Filmportal wird der Inhalt beschrieben:

“Der Leuchtturmwärter Uwe Bull lebt mit seiner Frau Hanne und dem stummen Gehilfen Jens in einer abgeschiedenen, kleinen Welt. Erotisches Knistern kommt in diese Welt, als eines Tages als einzige Überlebende eines Schiffsunglücks Margot angespült wird, ein flottes Mädel von der Reeperbahn. Uwe verfällt dem kecken Mädel bald mit Leib und Seele, und nach einem Streit zwischen Margot und Hanne will er seine Frau verlassen und eilt Margot hinterher. Aber dunkle Wolken ziehen am Himmel auf, und da Uwe sich nicht um den Leuchtturm kümmert, gerät ein Schiff in Gefahr. Hanne will hinauf zum Scheinwerfer, stürzt aber vom Geländer und bleibt an einem Balken hängen, der langsam nachgibt. Da erkennt Uwe die Gefahr, eilt zurück, rettet seine Frau und bleibt von nun an bei ihr.”

Unter anderem ist in dem Film “Der Seemannschoral” zu hören:

Wir haben die ganze Welt gesehn
— Die Welt war überall rund! –
Um alle paar Monat vor Anker zu gehn
Bei einem Mädchenmund!
Wir sahn eine Mutter in schneeigem Haar
— Die verkuppelte uns ihr Jöhr
Wir fraßen pfundweis den Kaviar
Direkt an der Quelle vom Stör!

Wir sahen Seeanemonen und Qualln,
Die schmückten Gebein und Gewand
Eines Matrosen, der war gefalln
Für irgendein Vaterland.
— Die Welt ist rund und klein!
Was kann sie dem Seemann noch sein?
In Hamburg an der Elbe
Gleich hinter dem Ozean
Ein Mädchen von Sankt Pauli
Von Sankt Pauli und von der Reeperbahn
Ein Mädchen, das bei Tag und bei Nacht
Bei jedem Kuß an uns nur gedacht
Ein Mädchen von Sankt Pauli
und von der Reeperbahn.

Der ganze Seemannschoral steht im Walter-Mehring-Blog… 

Max Herrmann-Neiße stellt Kabarettdichter und Kabarettkomponisten vor

Die Textlieferanten der ersten Überbrettlära in Deutschland waren (wie gesagt) lyrische Limonadenfabrikanten wie Ernst von Wolzogen, Bierbaum, platte Bonmotdrechsler und Bonhomiesatiriker wie Pserhofer, Rideamus. Traten im Rahmen dieser Kabaretts wirkliche Dichter auf, so war das eine ganz unorganische Erscheinung, ihrer Art nach hatten diese Poeten (Hille, Liliencron, die Lasker-Schüler) nichts mit den besondren Anforderungen eines Kabaretts zu tun, sie schrieben nicht fürs Kabarett und sie schrieben auch nicht so, daß ihre Werke irgendeine Möglichkeit gehabt hätten, vom Kabarett aus zu wirken. Von wirklichen Künstlern gemachtes Kabarett, das eine Welt für sich darstellte, war eben erst das der »Elf Scharfrichter«, mit den Dichtern Wedekind, Lautensack, Greiner, Ludwig Scharf, Gumppenberg. Dann gab es in den drei, vier Jahren, die dem Weltkrieg vorausgingen, eine Dichtung, die zwar nicht direkt fürs Kabarett gemacht war, aber ihrer Struktur nach einem wirklich künstlerischen und selbständigen Kabarett sehr geeignetes Material geboten hätte – ein Material, das erst jetzt ein paar belangvolle Kabaretts zu benützen anfangen. Die impressionistisch-naturalistische Literaturepoche hatte es in ihrem Ausgang zur grotesken Dichtung gezogen. Nachdem die höchste Reife des formalen Niveaus erreicht war, konnte man akrobatische Wagestücke und verblüffende Fingerfertigkeiten vorführen. Man hatte alles ausgekostet, alle Illusionen verloren, nun wurde man zuletzt artistischer Illusionist. Oder man hielt Berlins Großstadtsensationen in grotesk frisierter Verklärung lyrisch fest, dämonisierte die Vergnügungsmöglichkeiten, die Deutschlands Hauptstadt damals den Kapitalkräftigen bot. Die Reihe der Dichterexzentriks war groß und mannigfaltig, Scheerbart, Meyrink, Mynona waren ebenso darin wie Hardekopf, van Hoddis, Lichtenstein, Ernst Blass, Hugo Kersten und das Autorenterzett der Kriminalsonette (Ludwig Rubiner, Friedrich Eisenlohr, Livingstone Hahn). In der Öffentlichkeit dominierte gleichzeitig das durchschnittliche Vorkriegskabarett, das hauptsächlich von einer unreellen, kitschigen Nobelpikanterie zehrte, deren Personen der elegante Herr und sein Verhältnis waren, und die Erotisches mit einem schmalzigen, aber durchaus eindeutigen Schmus servierten. Dafür waren die gefragten Autoren beispielmäßig Eddy Beuth, Ralph Benatzky (Die kleine Pagode, Piefke in Paris, Die Marquise von Laualliere), die Lieblingskomponisten Rudolf Nelson, Bogumil Zepler, Bela Laszky, Harry Waldau, Nicklaß-Kempner, Rebner, Ehrlich, eine Reihe, die heut noch tätig und wirksam ist, da ja dieses Amüsiergenre immer bleibt, und sich fortsetzt in Autoren wie Wilczynski und Komponisten wie Stransky. Während des Kriegs lebte das Durchschnittskabarett natürlich von billiger Verunglimpfung der »Feinde«, gewürzt durch galante Tanzeinlagen. Nachher benötigte man eine revolutionäre Walze. »Soziales« dem Schieberpublikum der Neppetablissements mundgerecht aufzutischen, siedelte man es ausschließlich in der Sexualsphäre an. Man verabreicht Sektgästen kein Dynamit, sondern verhilft ihnen, wenn’s hochkommt, zum angenehmen sadistischen Kitzel, oft gar nur zur witzlosen Stammtischschweinerei, die durch den Gassendialekt Ursprünglichkeit vortäuscht.

Der ganze Text steht im Walter-Mehring-Blog…

Siegfried Jacobsohn freut sich über einen Brief Mehrings aus Paris

Kampen auf Sylt, am 23. Juni 1921

Dorbacke [?] erster Ordnung, heute kommt ein jauchzender Brief von Mehring aus Paris, der nach seiner Rückkehr, wie seine Mutti sagen würde, ein unerschöpfliches Füllhorn von ungeahnten Eindrücken über mich und mein geduldiges Blatt ausschütten wird. Und Du Eselsbrägen sitzt in solchem „Speisesaal“ auf Deinem Bierarm und kneifst Gussyn ebendorthin, weil Du in Paris nur als feiner Willem auftreten kannst. Jau, me schießt! Na, komm Du mir man bei Muttern! Ohne Gruß der Herausgeber.

Der ganze Brief steht im Walter-Mehring-Blog…