Moderne Astrologie

Freibad
Freibad

Im Radio erzählen sie, dass die Freibadsaison in Berlin verlängert wird. Ein Blick aus meinem Fenster zeigt Regen und dunkle Wolken. Im Fernsehen sagen sie, dass der Hochsommer noch ausbricht. Aber ohne Jacke konnte ich heute früh nicht auf die Straße.

In die Zeitung drucken sie Karten, auf denen die Sonne scheint und keine Wolke den Himmel trübt. Ohne Licht, kann ich jedoch nicht arbeiten, weil es sonst zu dunkel ist. Ständig tun alle so, als könnten sie anhand von Wolkenfilmen, Regenradar und Strömungspfeilen die Zukunft deuten. Das ist auch nichts anderes als die Beobachtung des Vogelflugs oder der Blick in die Innereien frisch geschlachteter Tiere, um das Künftige zu sehen.

Die Zukunft bleibt ein Geheimnis. Auch wenn wir früher Priestern und heute Wettermoderatoren gerne glauben wollen, dass sie wissen, was das Morgen bringt. Es bleibt dabei: Die einzige Gewissheit ist der eigene Blick. Die einzige Sicherheit gibt das eigene Fühlen.

Der Tod: Trikont zelebriert das Ende auf bayerisch

Stimmen Bayerns: Der Tod
Stimmen Bayerns: Der Tod

Nach der Liebe kommt irgendwann der Tod. Trikont bringt ihn zur Sprache. Nach „Stimmen Bayerns – Die Liebe“ gibt es jetzt „Stimmen Bayerns – Der Tod“. Und wieder gelingt es den fleißigen Münchner Sammlern von Texten und Musik ein wunderbares Kompendium zusammenzustellen. „Der Tod“ ist ein Begleiter des Lebens.

Auf Bayerisch ist das immer klar. Und auch gar nicht so furchtbar. Wenn Georg Ringsgwandl „Nix mitnehma“ singt, dann klingt das gar nicht traurig. Im Gegenteil, der musikalisch-kabarettistische Oberarzt-Punk macht klar, dass der Tod keine Bedrohung ist. Es sei denn, man hat nicht gelebt. Diese Dialektik, diese im Kern sehr katholische Sicht aud Leben und Tod, zieht sich durch die 28 Texte und Musikstücke im bayrischen Dialekt. Franz Xaver Kroetz spricht vom „Kirchberg“, Gerhard Polt von „Fleischliang“ oder der leider schon tote Carl Amery von „Vorgezogener Lagerräumung“. Und das eigentlich immer ohne Trauer. Hans Söllner singt von „Mei guada Freind“, Hasemanns Töchter von „Israsplittern“ und Coconami vom „Heuschreck“.

Trikont hat auch bei der Musik auf die spannenden bayrischen Töne gesetzt. Deshalb fehlen auch LaBrassBanda nicht. Diese Unterschiedlichkeit ist schon faszinierend genug. Noch spannender wird die CD aber tatsächlich dadurch, dass es das Label wieder einmal schafft, in Tönen eine Bestandsaufnahme eines Volks, einer Schicht oder eine sozialen Gruppe zu formen, die das Wesentliche auf den Punkt bringt. Wer das gehört hat, weiß wie Bayern über den Tod denken, weiß was Bayern fühlt, wenn vom Tod die Rede ist. Trikont bleibt sich treu. Und kann zu recht von sich sagen. „Unsere Stimme“. Das ist der Claim des kleinen Labels. Diese Stimme, unsere Stimme, überrascht mich immer wieder.

„Da steht mein Haus“ – Die Erinnerungen Hans Keilsons

Hans Keilsons Erinnerungen
Hans Keilsons Erinnerungen

Er hat gerade noch erlebt, dass seine Erinnerungen erschienen sind. Dann ist Hans Keilson im Alter von 101 Jahren gestorben. „Da steht mein Haus“ hat der letzte deutsche Exilschriftsteller sein Buch genannt. In ihm gelingt Keilson das Kunststück 101 bewegte und bewegende Lebensjahre auf nur 140 Seiten zu komprimieren. Autobiografien sind gern sehr dick.

Der Zurückblickende schafft es oft nicht, die Fülle an Leben so zu sortieren, dass dem Leser nur das Wesentliche erzählt wird. Der Stolz, diese und jene Berühmtheit gekannt oder getroffen zu haben, erzeigt statt eines guten Lesetextes dann eher ein Nachschlagewerk, in dem das Personenregister das wichtigste ist.

Bei Hans Keilson ist das ganz anders. Er verdichtet wichtige Lebensabschnitte atmosphärisch und sprachlich so gekonnt, dass ganz konkrete Bilder im Kopf des Lesers entstehen. Wenig erstaunlich ist es, dass der Arzt und Psychoanalytiker das so gut kann. Die Schulung seiner jahrzehntelangen Praxis liefert ihm das Werkzeug, sein eigenes Leben so zu analysieren, dass eine schlüssige Erzählung daraus wird. Die Mittel des großen Schriftstellers ermöglichen es ihm, das packend und vielschichtig zu machen.

Keilsons gelingt es seinen Werdegang vom jüdischen Schüler in den 20er-Jahren in Bad Freienwalde und das anschließende Studium in Berlin genauso knapp zu schildern wie den Weg ins Exil, das Leben im Untergrund und psychoanalytische Arbeit mit traumatisierten Kindern, die das KZ überlebten. Trotz des Leids, die Familie im KZ verloren zu haben, durchzieht sein Buch und sein Leben eine tiefe Güte. Und der Wunsch die Trauer und das Leid zu verstehen. Das Buch hat ihm dabei sicher geholfen. Den Lesern hilft es ebenfalls. Denn sie haben das letzte Erinnerungsbuch eines Überlebenden des Exils gelesen.

Mehr von Hans Keilson:
„Ich lebe als Sieger und Besiegter“ – Interview zum 100. Geburtstag
Schönes Ende eines Interviews – Erinnerungen an das Interview
Hans Keilson ist tot – Kurzer Nachruf
Hans Keilsons Jahrhundert ist vorbei – MOZ-Nachruf
„Da steht mein Haus“ – Die Erinnerungen Hans Keilsons – Eine kurze Autobiografie
Hans Keilsons Sonette einer verbotenen Liebe – Sonette für Hanna

Fußballtag in Wilmersdorf

Aufstellung zum Turnier
Aufstellung zum Turnier

Mehr als 20 Mannschaften auf vier Halbfeldern. Überall Rufe von Trainern, Anfeuern von Mitspielern, Eltern, die nicht nur ihren eigenen Nachwuchs mit kräftigen Stimmen antreiben. Viel Spaß und viel Ernst. Das ist ein Fußballturnier der E-Jugend in Wilmersdorf. Leider auch viel Leerlauf, weil die Organisation etwas hapert. Dafür aber viel Engagement von Eltern, die Salate, Kuchen und so weiter gemacht haben, um Geld in die Vereinskasse zu spülen. Nach der Sommerpause freuen sich alle, dass der Ball endlich wieder rollt. Die Vorbereitung auf den Saisonstart läuft überall. Da ist so ein Turnier ein willkommener Test, um neu zusammengewürfelte Mannschaften zu testen, um Defizite zu entdecken. Denn diese Saison ist für alle mit Ehrgeiz ganz wichtig: In der E1 wird das erste mal nach den Guten gesucht, die in die Landesauswahl, den Kader dürfen. Ob das schon eine Grenze zwischen Spaß und Ernst ist, wird dieses Jahr zeigen.

Heimat (5): Schlesisch Blau in Kreuzberg

Tafel am Schlesisch Blau
Tafel am Schlesisch Blau

Beim „Schlesisch Blau“ handelt es sich um eine Wirtschaft. Zwar kann man schlecht einfach vorbei kommen. Denn meist sind alle Plätze reserviert. Aber das Interieur und die unkomplizierte, direkte Bedienung erinnern kaum an ein Restaurant. Hier wird sich auf das Wesentliche konzentriert: Aufs Essen und aufs Trinken. Und auf die Kommunikation mit der Begleitung.

Das geht hier besonders gut, weil hier eigentlich nie Handys klingeln. Laptops und dergleichen sind verpönt. Man isst, trinkt, spricht. Oder anders ausgedrückt: man genießt. Die Suppen stehen auf dem Ofen. Jeder bedient sich. Den Salat gibt es aus den mit Brot ausgewischten Suppentellern. Der aus drei bis vier Gerichten ausgewählte Hauptgang ist ganz frisch gekocht. Deshalb beschränkt sich die Karte auch auf die tagesaktuell mit Kreide neu beschriebene Tafel. Statt fragwürdiger Quantität dominiert hier famose Qualität. Das betrifft nicht die Portionen. Die sind wirklich ausreichend. Aber die Auswahl ist eben beschränkt. Beim Nachtisch geht es meist sogar nur um ein Ja oder Nein, etwa zu einer Schokoladentart mit Zwetschgen.

Biere und vor allem Weine sind richtig gut. Die Auswahl bei letzteren sogar ausgewählt gut. Die gesamte Mischung aus Angebot, Publikum und Atmosphäre erzeugt ein sehr angenehmes Gefühl. Fast etwas wie Heimat. Hier fühlt man sich wohl. Hier schmeckt es und hier gibt es ein Stück Berlin seiner angenehmsten Art. Und das alles in Sichtweite der Ecke von Kreuzberg, in der sich der Widerstand gegen die Touristen häuft.

Mehr Heimat:
(1) Mein Sprungturm
(2) Stänglich vom Schwab
(3) Leberkäsweck
(4) Bilder aus Hammelburg
(5) Schlesisch Blau in Kreuzberg
(6) Danke Biermösl Blosn!
(7) Weinlaub und Weintrauben
(8) Laufwege in Buchenwäldern
(9) Fränkische Wirtschaft
(10) Bamberger Bratwörscht am Maibachufer
(11) Weißer Glühwein
(12) Berlin
(13) Geburtstage bei Freunden aus dem Heimatort
(14) Gemüse aus dem eigenen Garten
(15) Glockenläuten in der Kleinstadt
(16) Italienische Klänge
(17) Erstaunliches Wiedersehen nach 20 Jahren
(18) Federweißen aus Hammelburg
(19) Wo die Polizei einem vertraut
(20) Erinnerungen in Aschaffenburg
(21) Nürnberg gegen Union Berlin
(22) Der DDR-Polizeiruf 110 „Draußen am See“

Erneut gelesen: Dieter Kühns Napoleon-Buch „N“

Dieter Kühn: N
Dieter Kühn: N

Vor mehr als 40 Jahren ist dieses Buch erstmals erschienen. Vor gut 20 habe ich es gelesen. Auch heute lohnt es sich noch. Damit hatte ich nicht unbedingt gerechnet. Denn Dieter Kühn erzählt das Leben Napoleons von der Geburt bis zum Zeitpunkt der Machtübernahme im nachrevolutionären Frankreich.

Aber das Buch ist keine Biografie. Ein Roman ist es auch nicht. Genau dieses Zwitterhafte hatte ich noch in Erinnerung. Und dass der Text in vielem sehr theoretisch wirkte. Doch genau das macht seinen Reiz aus. Dieter Kühn erzählt nämlich nicht nur den Werdegang Napoleons, sondern auch die Möglichkeiten, die es in seinem Leben auch noch gegeben hatte. Und diese spinnt er immer wieder an den Weggabelungen des Lebens weiter. Was wäre gewesen, wenn nicht er sondern sein Bruder Soldat geworden wäre und er Geistlicher? Was wäre gewesen, wenn Nelson Napoleons Flotte vor der Ankunft in Alexandria vernichtet hätte? Was wäre aus ihm geworden, wenn er in türkische Dienste eingetreten wäre?

Dieses Hypothetische sorgt dafür, dass der Leser das Leben Napoleons nicht von seinem erfolgreichen Phasen als Eroberer Europas, als Verbreiter des Code Napoleon, des Vorläufers unseres Bürgerlichen Gesetzbuches, herdenkt. So schrumpft die Größe auf ein menschliches Maß, da zwar die Tatkraft und Intelligenz gewürdigt werden, aber eben auch immer die Zufälle und Gelegenheiten, die er für sich zu nutzen wusste. Da schwingt viel 68er-Gedankengut mit. Es geht um die politische Kraft des Individuums und um die gesellschaftlichen Umstände, die Geschichte gestalten. Es geht um eine hohe Kunst der Dialektik, wenn die unterschiedlichen Optionen durchgespielt werden.

Dabei gelingt es Kühn aber, nicht im Traktat zu versumpfen oder in der Theorie zu veröden. Er liefert ein Gedankenspiel, das auch heute noch Spaß macht – und nachdenklich. Spaß übrigens mehr als damals beim Lesen.

Heimat (4): Bilder aus Hammelburg

Bilder aus der Hammelburger Altstadt

Bild 1 von 13

Bilder aus der Hammelburger Altstadt: Stadtmauer, Mönchsturm

Einige Impressionen aus der Altstadt von Hammelburg. Wenn man selten da ist, fallen die schönen Dinge um so stärker ins Auge. Auch die Bilder sehr idyllisch sind, irgendwie ist es das Städtchen ja auch.

Mehr Heimat:
(1) Mein Sprungturm
(2) Stänglich vom Schwab
(3) Leberkäsweck
(4) Bilder aus Hammelburg
(5) Schlesisch Blau in Kreuzberg
(6) Danke Biermösl Blosn!
(7) Weinlaub und Weintrauben
(8) Laufwege in Buchenwäldern
(9) Fränkische Wirtschaft
(10) Bamberger Bratwörscht am Maibachufer
(11) Weißer Glühwein
(12) Berlin
(13) Geburtstage bei Freunden aus dem Heimatort
(14) Gemüse aus dem eigenen Garten
(15) Glockenläuten in der Kleinstadt
(16) Italienische Klänge
(17) Erstaunliches Wiedersehen nach 20 Jahren
(18) Federweißen aus Hammelburg
(19) Wo die Polizei einem vertraut
(20) Erinnerungen in Aschaffenburg
(21) Nürnberg gegen Union Berlin
(22) Der DDR-Polizeiruf 110 „Draußen am See“

Als Erbe Caesars lebt es sich gut – Rom sei Dank!

Weeber: Rom sei dank!
Weeber: Rom sei dank!

Warum nur ist man als Schüler lieber faul als schlau? Und weshalb haben Lehrer einen so großen Einfluss auf die Lust am Fach? Fragen, die sich aufdrängen, wenn man dieses schöne Buch über den nachhaltigen Einfluss der Römer und ihrer Sprache auf unser Leben und unsere Kultur liest. Karl-Wilhelm Weeber ist kein Bildungshuber, sondern ein Gebildeter im besten Sinne des Wortes. Einer, der sein Wissen und vor allem sein Verständnis gerne teilt, ohne sich über all jene zu erheben, die sein Wissen (noch) nicht haben. „Warum wir alle Caesars Erben sind“ – der Untertitel des Buches „Rom sei Dank!“ – steht für dieses Mitnehmen des Lesers.

Da sagt ein Altphilologe voller Vergnügen zum Leser: Wir alle, auch Du, gehörst dazu. Da wird nicht ausgegrenzt, sondern an ganz vielen Beispielen bildhaft geschildert, was wir den Römern zu verdanken haben. Das macht Weeber auch mit viel Humor. Und so wird die Baugeschichte genauso behandelt wie der Einfluss der griechischen Kultur auf die Römer oder der in solchen Büchern unvermeidliche Straßenbau und natürlich Latein.

Aber all diese Themen werden wissend mit Witz vermittelt. Wer sich darauf einlässt wird immer wieder mit erstaunlichen Informationen gefüttert und erfreut sich schon sehr bald am Wachsen des eigenen Wissens. Also nur Mut: Auch solche Bücher können viel Vergnügen bereiten. Zwar sind die Fragen vom Anfang dann noch immer nicht beantwortet, aber das eine oder andere Versäumnis der Jugend wird so doch geheilt.

Fundstück in der Laufhose

Türkische Lira in Laufhose
Türkische Lira in Laufhose

So drückend schwül wie heute war das Wetter beim Laufen noch nie. Die Beine waren schwer. Der ganze Körper triefte vor Nässe. Ob es Schweiß oder Luftfeuchtigkeit war? Ich weiß es nicht. Das Laufen förderte eine kleine Erinnerung ans Tageslicht: einen 5-Lira-Schein aus Ankara. Sorgfältig gefaltet muss er schon mindestens dreimal gewaschen worden sein. Und dennoch sieht der alte Atatürk noch ganz frisch aus.

Ganz anders als ich, als er in die Hose wanderte. Das war nach einer ziemlich schlaflosen Nacht. Früh morgens war der Lauf durch die aufwachende Stadt die einzig sinnvoll Maßnahme, um den hin- und herwälzenden Zustand zu beenden. Die 5 Lira wurden eingepackt, um unterwegs Wasser kaufen zu können. Doch daraus wurde nichts. Die Kioske hatten trotz des Frühsports etlicher Hauptstädter konsequent zu. Und so geriet der Schein in Vergessenheit.

Bis vorhin. Doch da war er genauso sinnlos wie in Ankara und das Wälzen im Bett. Zwar hatte hier der Kiosk auf, um meinen Durst zu löschen. Türkische Lira wollte der Verkäufer aber keine.