Schwimmen ohne Wand und Wende

Alles wackelt viel mehr. Die Züge sind unruhiger. Der gesamte Körper ist in größerer Bewegung. Das Wasser hat einen stärkeren Wellengang. Die fehlende Orientierung wegen des trüben Wassers und der nicht vorhandenen Linie erfordert häufige Korrekturen der Richtung. Im Schwimmbad gibt es diese Probleme nicht. Da stören allenfalls langsame oder tratschende Badende.

Schwimmen im See ist anders. Es fordert sämtliche Sinne. Schwimmen im Schwimmbad ist Meditation. Da verschwimmt nach spätestens zehn Minuten die Zahl der mitgezählten Bahnen. Das beruhigende immergleiche Ziehen der Bahnen macht den Kopf frei. Die Anzahl der Züge bleibt Bahn für Bahn gleich. Der Rhythmus wird nur von der Wende am Ende der Bahn unterbrochen. Alles harmonisiert sich und wird so zu einer befreienden, weil befriedenden Dauerbewegung.

Im See muss man hören. Zwar ist die Natur viel leiser als das heftige Plätschern und Gekreische im Hallenbad. Aber das hohe Zirpen einer Motorbootschraube bedeutet Gefahr. Der Kopf muss sich jetzt nicht nur nach vier Kraulzügen nach rechts zum Atmen aus dem Wasser heben, jetzt muss der Blick auch nach links wandern. Und nach hinten. Also bleibt nichts anderes übrig, als sich zu drehen. Der ewig gleiche Bewegungsablauf wird unterbrochen, weil die Gefahr gebannt werden muss. Wo ist das Motorboot und wie weit ist es weg? Zum Glück ist es heute sehr weit entfernt.

Die regelmäßige Ein- und Austauchen der Arme kann wieder losgehen. Im See muss man sehen. Das ist im trüben Wasser so viel schwerer als im gechlorten Becken mit Schwimmbrille. Im See ist die überflüssig. Mit ihr sieht man gar nichts mehr. Also müssen sich die Augen immer wieder öffnen. Der Orientierungspunkt, eine Bootshaus auf der anderen Seite oder die sandige Badestelle, muss immer wieder neu fixiert werden. Nur dann ist ein Ankommen genau dort möglich. Das ist nicht einfach. Denn das Wasser sorgt mit Wellen dafür, dass sich die Richtung des Schwimmens ständig ändert. Je nachdem, wo ein Motorboot den See aufwühlt, muss dagegen gehalten werden.

Und dann ist da auch noch die Strömung. Auch die will ständig korrigiert werden. Dadurch werden die Schwimmzüge ungleich. Es geht nicht mehr nur darum, sich gleichmäßig fortzubewegen. Es geht darum, auch noch die Richtung zu halten und dabei doch zu verhindern, dass sich Seitenstechen breit macht. Im See muss man schmecken. Leider immer wieder. Denn die Wellen drücken Wasser in den Mund, das jetzt gar nicht erwartet wird. Nun gilt es, schnell dagegen zu atmen, um nicht husten zu müssen. Um sich nicht zu verschlucken.

All das macht das Schwimmen schwerer. Und intensiver. Die Strecken sind kürzer. Bei gleicher Zeit der Anstrengung. Die Muskeln arbeiten mehr und machen sich in der Folge immer länger bemerkbar. Das ist gut. Das tut gut. Dieses Mehr an Konzentration und Anstrengung sorgt für eine ganz andere Zufriedenheit. Beim Schwimmen im See erlebe ich die Natur und meinen Körper intensiver. Die Genugtuung über das Geleistete hält länger an. Und damit der Wunsch, dieses Schwimmen ganz schnell zu wiederholen.

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Schweskas Roman schildert den Niedergang der DDR anhand der IT-Subkultur

Marc Schweska: Die letzte Instanz
Marc Schweska: Die letzte Instanz

Über die Widerständigen in der DDR ist schon viel geschrieben worden. Meist handelt es sich um Bürgerrechtler, Umweltschützer, Hippies oder auch Skinheads. Musik und Kirche ist immer wichtig. Aber dass die ersten Computerfreaks der Arbeiter- und Bauerndiktatur Teil der Berliner Subkultur von Prenzlauer Berg und Friedrichshain waren, war mir neu. In Marc Schweska Roman „Zur letzten Instanz“ erweckt er die untergehende DDR zum Leben. Der Roman gehört zu den überraschendsten Büchern der „Anderen Bibliothek“ der vergangenen Jahre. Denn die Collage um Lem, den Sohn eines einst wichtigen Kybernetikers, der am Theater arbeitet, in einer Band spielt und vor allem in seiner Freizeit Computer und Elektrogeräte bastelt, zeigt alle Aspekte des absurden Staates zwischen Elbe und Oder.

Dabei entwirft Schweska nicht nur ein Panorama des Untergangs. Er schreibt auch eine Geschichte der Kybernetik, die als gemeinsame Sprache jenseits der Ideologien für einen Moment in Ost und West von einigen Wissenschaftlern als Möglichkeit gesehen wurde, anhand der logischen Informationstechnologie den starren ideologischen Systemen eine Alternative an die Seite zu stellen. Das ist natürlich nicht immer ganz einfach zu lesen. Denn Schweska scheut auch nicht davor zurück, mal eine Seite Programmcode abzudrucken. Aber in Kombination mit Überwachungsprotokollen der Stasi und absonderlichen Nachrufen entsteht ein facettenreiches Bild. Schweska kann sprachlich für unterschiedliche Akteure auch eigene Dukti entwerfen. Das sorgt für mehr Spannung.

Obwohl das Buch kein spannendes, sondern eher ein verwunderliches ist. Es hat etwas von einem Bildungsroman. Nur dass der sich bildende nicht ein einzelner Mensch ist, sondern eine Idee, die sich in den Menschen zweier Generationen ausbreitet. Wobei der Sohn die Errungenschaften des Vaters nur als Pervertierung kennenlernt. Wo der Vater anhand der IT den Fortschritt beflügeln wollte, spürt der Sohn die negativen Auswirkungen: Denn die Stasi nutzt die IT, um besser und effizienter überwachen zu können. Dieser Aspekt ist auch heute noch aktuell, wenn man an die aktuellen politischen Debatten denkt. Im Roman steht das Beispiel Computertechnologie für den gesamten Niedergang der Ideen, die der DDR anfangs Legitimität gaben und am Ende nur noch hohles Pathos verwirrter Greise war, die über die Mittel verfügten, das Leben von Menschen zu vernichten.

Marc Schweska: Zur letzten Instanz. Eichborn – Die Andere Bibliothek. 32 Euro.

Mehr über Bücher der Anderen Bibliothek

Anitkabir: Am Mausoleum Atatürks endet das Studium

 

Das Mausoleum Atatürks ist ein gigantisches Bauwerk. Es erinert an die Tempelanlagen von Luxor und Karnak. Inspiriert ist sie Anlage von der Antike, deren Geist sie mit pharaonischen Zitaten zu vereinnahmen sucht. Wie ernst den Türken die Ehrung Atatürks ist, konnten wir erleben, als die Absolventen einer Universität Ankaras busseweise angekarrt wurden, um zusammen mit jenen, die vor 10, 20 oder 30 Jahren das Examen ablegten und ihren Familienangehörigen einen Kranz vor dem Vater der Türken niederzulegen. Bilder erzählen hier mehr als viele Worte.

Wie ich mit der goldenen Ehrennadel der Lausitzer Rundschau geehrt wurde

Die silberne Ehrennadel der Lausitzer Rundschau mit Etui
Die silberne Ehrennadel der Lausitzer Rundschau mit Etui

In Brandenburg streiten sich die Opposition (CDU, Grüne, FDP) und die Regierung (SPD, PDS) über den Umgang mit dem SED-Erbe nach der Friedlichen Revolution. Ins Visier einer Kommission sind dabei die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen geraten, die Märkische Allgemeine, die Lausitzer Rundschau und die Märkische Oderzeitung. Ihnen wirft ein Bericht vor, zu sehr Kontinuität bewahrt zu haben.

1998 erlebte ich diese Kontinuität auf eine sehr amüsante Art und Weise: Ich bekam die Goldene Ehrennadel der Lausitzer Rundschau verliehen. Zum Abschied nach drei Jahren und drei Monaten bei dem Blatt. Einige Redakteure hatten das Ehrenzeichen für 25 Jahre Durchhalten nach der Privatisierung gesichert. Und sich den Scherz gemacht, es verdienten Kadern wie mir, dem Wessi auf dem Weg zurück in den Westen, zu verleihen. Natürlich waren das ostdeutsche Kolleginnen und Kollegen. Sie hatten so viel Distanz zu ihrer Vergangenheit, dass sie sich ironisch mit dieser Ehrenzeichenverleihung darüber lustig machen konnten.

Sie wussten aber auch, dass die Privatisierung der Treuhand dafür gesorgt hat, dass die Zeitungsmonopole erhalten blieben. Der daraus resultierenden Verantwortung haben sie sich gestellt. So wie es die intelligenten Neuzugänge auch taten. Sie wussten, dass schon vor 1989 nicht gold war, was auf Ehrenzeichen glänzte. Und sie hatten begriffen, dass man den Widrigkeiten des Arbeitslebens nur mit Humor und dem steten Suchen nach den eigenen Freiräumen, nach der eigenen Freiheit die Lust am täglichen kritischen Zeitungsmachen abgewinnen kann. In diesem Sinne halte ich die Ehrennadel der SED-Bezirkszeitung noch heute in Ehren. An die gleichgültigen, gelangweilten und schlechten Journalisten denke ich dabei nicht. Die gibt es überall, im Westen und im Osten.

Gusta – das türkische Weissbier

"Gusta" - das türkische Weißbier
"Gusta" - das türkische Weißbier

Schon Anfang April habe ich ein großes Plakat in Ankara gesehen, das auf Weissbier aufmerksam machte. Der Gedanke, dass sich nach dem Pils endlich auch ein vernünftiges Bier auf dem Weg um die Welt ausbreitet, erfreute mich sehr. Nach einigem Suchen fand ich das Lokal mit dem großen Gusta-Plakat wieder. Natürlich habe ich dort gegessen und getrunken. Wie heißt es in Eckhard Henscheids wunderbarem Roman „Geht in Ordnung – sowieso – – genau – – –“ so häufig auf die Frage, was man trinken wolle: „Ein frisches, kühles Weizenbier.“

Zwar ist mir die Art des Müßiggangs, die Henscheids Personal des ANO-Teppichladens pflegt, doch fern. Aber das Lob auf das frische Weissbier kann ich teilen. Bei „Gusta“ jedoch vergeht einem der Genuss. Es schmeckt seltsam muffig, leicht nach chemischen Säurungsmitteln. Der Genuss ist so trüb wie das Bier selbst. Ein Pils ist die einzig denkbare Erlösung. Das „Efes“ zischt dann, vertreibt die Chemie im Munde und entspannt ungemein nach etlichen Kilometern zu Fuß durch die Stadt.

Frühsport um 06.30 Uhr in Ankara

Frühsport in Ankara
Frühsport in Ankara

Ankara. 06.30 Uhr am Samstag. Der Schlaf will nicht wiederkehren. Die senile Bettflucht treibt mich mit Laufschuhen auf die ruhigen Straßen der großen Stadt. Das Laufen tut gut. Nicht nur mir. Schon um diese Zeit sammeln sich bewegungsfreudige Großstädter, um die Nacht zu vertreiben. Sie nutzen die Fitnessgeräte, die an zwei Stellen in diesem und in vielen anderen Grünanlagen stehen.

Da schwingen sich Senioren von links nach rechts. Da laufen Frauen mit Kopftuch und wadenlangen, schweren, schwarzen Strickjacken. Da qäulen sich beleibte Männer an der Streckbank. Alle sind froh und ruhig. Sie konzentrieren sich auf ihren Körper und vergessen in dieser Morgenstunde den Alltag.

Anders als die letzten Nachtschwärmer, die wacklig den Weg nach Hause suchen. Die dem Läufer in ihren Straßen verwirrt entgegen blicken. Und sich offenbar nur noch nach Schlaf sehnen. Den finde ich zwar auch nicht mehr. Denn die Zufriedenheit über die frühe Bewegung und die beschäftigte, auf den eigenen Körper konzentrierte Ruhe der Morgensportler, ist wertvoller als eine weitere Stunde Schlaf. Und wacher macht sie noch dazu.

Ankaras spezielle Playstations

Playstations in Ankara
Playstations in Ankara

Nein, das ist keine Spielhölle. Hier stehen keine Automaten, die einen vermeintlichen Gewinn versprechen. Das hier ist eine spezielle Weiterentwicklung des Internet-Cafés in Ankara. Als Spezialität gibt es nichts besonderes zum Essen und Trinken oder eine Wasserpfeife. Auch das Internet ist nicht wichtig. Hier herrscht König Fußball – als Computerspiel. Flachbildschirm an Flachbildschirm steht in dem Lokal. Und außen auf dem Gehsteig geht es weiter. In der Parallelstraße sind sogar drei dieser – ja was eigentlich – Playstations?

In Kizilay sind die Kneipen generell gut besucht. Da, wo die FIFA 11 läuft, sind freie Stühle aber besonders rar. Wer Buben im spielfähigen Alter hat, weiß wie massiv die Freude am Bildschirmkicken sein kann. Hier in Ankara wird sie so ausgelebt, dass sie sogar den Burgerking nebenan ignorieren würden, dürften sie nur hier Platz nehmen. Aber das Publikum ist nicht nur jung. Hier platziert auch der Anzugträger seine Laptop-Tasche unter dem Stuhl, um gegen Freunde als FC Barcelona, Galatasery oder Manu zu kicken.

Die typischen türkischen Cafés mit den Domino- und Backgammon-Spielen gibt es auch noch. Aber deren Kunden sind in der Regel nochälter. Das Verhalten der Alten am Spielbrett und der Jungen am Bildschirm ist jedoch gar nicht anders. Da wird gelacht, da wird geflucht. Und ganz viel geredet. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass Computerspiele nicht schlechter sind, als die alten Brett- und Kartenspiele. Es kommt nur darauf an, wie man spielt.