Das schwierige Verhältnis von Zeitzeugen und Historikern

Eine Enquete-Kommission des Brandenburger Landtags beschäftigt sich mit der DDR und deren Erbe in der Gegenwart. Eine wichtige Frage dabei ist, wer die Deutungshoheit hat: Zeitzeugen oder Historiker? Die Bundesstiftung Aufarbeitung diskutierte das Thema in Berlin. Diese Reaktion kennt jeder, der sich für Zeitgeschichte interessiert: Da läuft eine Dokumentation im Fernsehen über die DDR und am nächsten Morgen wird im Büro heftig diskutiert. Denn das, was da zu sehen war, deckt sich nur zum Teil mit dem, was man selbst erlebt hat. „Zeitzeugen wollen sich in Untersuchungen wiedererkennen“, benennt Anna Kaminsky, die Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, dieses Phänomen. Immerhin gehe es um ihr eigenes Leben.

Doch allzu oft ist die Sicht von Historikern oder Medien eine andere als die persönliche der Zeitzeugen. Weil das so ist, wird immer wieder gestritten, wer denn die Deutungshoheit habe. So geschehen bei der jüngsten Sitzung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ in Potsdam. Haben nüchterne Historiker recht oder die Zeitzeugen, die mit all ihren Emotionen an ihrem Leben, ihrem Erlebten hängen? Noch dazu wenn sie Opfer waren und sich noch immer nicht gerecht behandelt fühlen.

Alexander von Plato hat als Historiker den Zeitzeugen immer viel Gewicht in seiner Arbeit eingeräumt. Er hat die sogenannte „Oral History“, die erzählte Geschichte, in der Bundesrepublik maßgeblich etabliert. Plato plädiert für eine Kooperation von Zeitzeugen und Zeithistorikern. Dabei verlangt er vor allem vom Historiker ehrliches Interesse an den Schilderungen der meist älteren Zeitzeugen. Denn das Erzählen „ist ein wesentliches Mittel zur Verarbeitung des Erlebten“. Aber der Zeitzeuge geht immer auch das Risiko ein, eine Entwertung zu erleben. Denn der Historiker habe zusätzliche Quellen wie Akten oder Statistiken, die das Leben des Einzelnen in größere Zusammenhänge einbetten.

Ganz radikal formuliert Günther Kröber seine Kritik an Historikern der DDR-Geschichte. Kröber war in den späten 40er-Jahren in der sächsischen LDP (später LDPD) aktiv, war zeitweise von der Stasi inhaftiert und nach der friedlichen Revolution FDP-Abgeordneter in Sachsen. Er bezweifelt, dass Stasi-Akten brauchbare Quellen für Historiker sein können. Da sie sämtlich auf widerrechtlichem Wege entstanden seien, „sind sie für die Wissenschaft nicht zu verwerten“.

Das sieht Ilko-Sascha Kowalczuk anders. Der Historiker der Stasi-Unterlagen-Behörde: „Ich traue zunächst niemandem.“ Das bezieht sich bei ihm auf Zeitzeugen genauso wie auf Stasi-Unterlagen. Der Historiker wisse um die Entstehung der Akten. Und er wisse um die Erinnerungsfähigkeit von Zeitzeugen. Mit den Methoden der Wissenschaft müsse man sich dem annähern, was untersucht werde. Bernd Faulenbach kennt inzwischen beide Rollen. Als maßgeblicher Historiker arbeitete er in den beiden Enquete-Kommissionen des Bundestags zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts mit. Mehr als zehn Jahre später beschäftigen sich Zeithistoriker schon mit deren Arbeit. Und so findet sich Faulenbach nun auch in der Rolle des Zeitzeugen. „Ich habe ähnliche Reflexe wie andere Zeitzeugen auch“, gibt Faulenbach zu.

Einig waren sich Historiker und Zeitzeugen in der Kritik an den Medien. Vor allem das Fernsehen benutze Zeitzeugen oft nur, um sich hinter den stark gekürzten Aussagen von ihnen zu verstecken. Das grenze an Missbrauch von Zeitzeugen. Den befürchtet auch Zuhörerin Anke Kruschat. Sie lenkte die Diskussion auf die Brandenburger Enquete-Kommission und betonte, dass sich gerade die einstige DDR-Opposition noch heute ständig erklären müsse. Dies führe dazu, dass viele sich Zeitzeugen nicht mehr äußern wollten. Aus der Sicht der Wissenschaft bestätigte Faulenbach dieses Phänomen. Es daure oft sehr lange, bis sich die Anerkennung durchsetze.

Historiker Kowalczuk fügte dem noch hinzu, dass die Opfer gleich dreifach gedemütigt worden seien. Zunächst wurden sie durch die Inhaftierung ausgeschlossen. Anschließend durften sie nicht über das in der Haft Erlebte reden. Und schließlich habe sich im vereinigten Deutschland lange niemand für ihr Schicksal interessiert. „In Brandenburg ist das offensichtlich besonders eklatant“, urteilt der Historiker. MOZ-Beitrag…

Scheinlösung für BBI

Kaum hat die Fluglärmkommission das Beste aus der verfahrenen Situation in Schönefeld gemacht, schon jubilieren die Landesregierungen. In der Tat sind die vorgeschlagenen Flugrouten vor allem für Berlin gut. Doch das Umland befrieden sie nicht.

Der Flughafen Berlin-Brandenburg-International wird am falschen Ort gebaut. Wer in dicht bevölkertem Gebiet einen Flughafen betreiben will, muss zwangsläufig viele Menschen mit Fluglärm belasten. Wer dann noch wie Berlins Regierungschef Klaus Wowereit weiter vom internationalen Drehkreuz schwadroniert, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Betroffenen nicht vertrauen.

Sie alle wissen inzwischen, dass Flugrouten für den BBI nur Empfehlungen sind, die Fluglotsen aushebeln können. Sie wissen auch, dass sie geändert werden können, wenn die Wirtschaftlichkeit es erfordert – auch wenn Matthias Platzeck und Klaus Wowereit den Fluglärmgegnern maximalen Lärmschutz versprochen haben. Wer aber der Wirtschaft ein internationales Drehkreuz verspricht und den Betroffenen besten Lärmschutz, kann nicht die Wahrheit sagen. Und somit die Region nicht befrieden.

MOZ-Kommentar…

Die Lösung 
heißt 
Teilen

Ein amerikanisches Gericht hat Google bei seiner Datensammelwut in die Schranken gewiesen. Das Projekt Google Books, bei dem der Internet-Konzern möglichst alle Bücher scannen und online verfügbar machen wollte, ist gestoppt. Denn Google wollte keine Vereinbarungen mit den Autoren oder den einzelnen Rechteinhabern schließen, sondern pauschal mit Verbänden von Verlegern und Autoren. Dieses Urteil wird Geschichte schreiben. Denn es stärkt all jene, die Inhalte produzieren. Ganz vorn kämpften deutsche Verleger gegen die Pläne von Google. Sie hatten die Klage angestrengt und über mehrere Jahre einen Vergleich ausgehandelt, der gerichtlich nur noch bestätigt werden musste. Doch dem Richter geht dieser Vergleich nicht weit genug. Er besteht darauf, dass bei so weitreichenden Entscheidungen die Rechteinhaber selbst mit Google verhandeln müssen.

Dieser Grundsatz ist richtig. Aber er ist auch schwer umzusetzen. In Deutschland nimmt die Verwertungsgemeinschaft Wort die Interessen von Autoren wahr. Sie schüttet die Einnahmen aus pauschalen Vergütungen etwa in Copyshops aus. Im Musikgeschäft macht dies die GEMA.

Zusammen mit den großen Plattenfirmen hat diese dafür gesorgt, dass viele Musikvideos auf Youtube – einer Google-Tochter – in Deutschland nicht mehr gezeigt werden. Auch hierbei geht es um ungeklärte Rechte. Denn GEMA und Labels sagen zu Recht, dass Youtube nicht mit der künstlerischen Leistung Dritter Geld verdienen darf, ohne diese daran zu beteiligen.

Für die Nutzer ist das ärgerlich. Die Idee, in allen Büchern online stöbern zu können, ist großartig. So wird das Wissen der Welt demokratisiert. Und die Musikvideos der Stars jederzeit anschauen zu können, ist auch verlockend. De facto werden wegen dieser Rechtefragen also Schranken im Netz aufgebaut. Sie bewirken also das Gegenteil dessen, was Google eigentlich will.

Aus diesem Dilemma kann nur die Politik helfen. Sie muss Verfahren festlegen, die sowohl den Rechteinhabern als auch den Nutzern entgegenkommen. Das wird nur funktionieren, wenn Google & Co zu einer großzügigen Beteiligung von Autoren und Musikern bereit sind.

MOZ-Kommentar…

SPD in der Zwickmühle

Für die SPD ist das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ein schwerer Schlag. Auf der einen Seite könnte sie mit den Linken die CDU in die Opposition drücken. Auf der anderen würde sie dafür sorgen, dass erstmals ein Linker zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

Zwar hat der sachsen-anhaltinische Spitzenkandidat Bullerjahn versprochen, nicht Juniorpartner der Linken werden zu wollen. Doch angesichts der starken strukturellen Mehrheit mit Linken, SPD und den Wahlsiegern von den Grünen wäre es schon ein Treppenwitz, wenn die Union weiter fest im Sattel sitzt. Da die FDP mit Wucht vom Wähler aus den Landtag gejagt wurde, ist das bürgerliche Lager auf ein gutes Drittel der Mandate geschrumpft.

In Baden-Württemberg blüht der SPD am Sonntag das gleiche Dilemma. Da könnten die Sozialdemokraten zum Mehrheitsbeschaffer eines grünen Ministerpräsidenten werden. Für Parteichef Gabriel stellt sich also die strategische Frage, ob die SPD für neue Mehrheitsverhältnisse sorgen oder der CDU Ministerpräsidenten sichern will. Egal wie sich die SPD entscheidet, fest steht, dass sie ihre Rolle neu definieren 
muss.

MOZ-Kommentar…

Die unaufhaltsame Macht 
des Internets

Zwei Freiheiten schränkt jede Diktatur dauerhaft ein: Die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit. Beide bedingen sich, um politisches Gehör zu finden und politisches Gewicht entfalten zu können. Seit es Facebook oder Twitter gibt, ist es nicht mehr nötig, sich real zu versammeln. Jetzt ist das Internet der Ort des politischen Aufbruchs. In Tunesien und Ägypten waren es netzaffine Frauen und Männer, die Diktaturen zum Einsturz brachten.

Wie bedeutsam das Internet als Versammlungsort, als Raum für politische Debatte und Aktion inzwischen ist, zeigt der Blick nach Libyen. Der dortige Gewaltherrscher Gaddafi hat seine Bevölkerung von der technischen Entwicklung des Internet abgekoppelt. Deshalb war es dort kaum möglich, so effektiv die Massen zu erreichen und zu mobilisieren. China steckt im Dilemma zwischen moderner Wirtschaft, die ungeahnten Wohlstand und globale Macht beschert und politischer Unterdrückung. Die KP Chinas versucht den Mittelweg. Internetzensur soll politische Aktivitäten unterdrücken, aber dennoch das für eine moderne Ökonomie notwendige Netz als Kommunikationsmittel erhalten. Auf Dauer wird das aber sicher nicht funktionieren.

Auch Deutschland hat im Zusammenhang mit dem Fall Guttenberg gelernt, dass Facebook & Co. mehr sind als Orte zum Austausch von Klatsch und Tratsch. Zum einen zeigte sich, wie schnell Hunderttausende für oder gegen Guttenberg mobilisiert werden konnten. Zum anderen ermöglichte das Netz eine neue Form der Transparenz. Während die Uni Bayreuth noch einen Termin für die erste Sitzung der Überprüfungskommission suchte, hatten freiwillige Helfer auf der Internetseite de.guttenplag.wikia.com aufgearbeitet, welche Textstellen der Dissertation abgeschrieben sind.

Diese Transparenz zeigte jedem, dass Guttenberg die Wahrheit nur scheibchenweise bekannte. Und brachte ihn maßgeblich zu Fall. Zudem erübrigt sich jetzt die Arbeit der Kommission hinter verschlossenen Türen. Transparenz, Schnelligkeit, Vernetzung und Mobilisierung haben eine neue Qualität erreicht. Damit muss sich jeder Staat, aber auch jeder einzelne Bürger auseinandersetzen. Aus der Politik sind sie nicht mehr wegzudenken. Zum Glück. MOZ-Kommentar…