Auf der Flucht vor dem Leben

Ilan Heitner: Liebe und anderer Schlamassel
Ilan Heitner: Liebe und anderer Schlamassel

Eine Mischung aus Tagebuch und Erinnerungen schreibt der Israeli Amir im Roman „Liebe und anderer Schlamassel“ von Ilan Heitner auf. Nach einem Wirtschaftsstudium macht er sich von Tel Aviv auf den Weg, um in New York ein Filmstudium anzuschließen. Dabei lernt er seine große Liebe Philly kennen. Doch die eigenartige Beziehungsunfähigkeit der beiden zerstört das Glück.

Ilan Heitner hat vieles aus seinem Leben in den Roman gepackt. Das Buch gleicht deshalb manchmal einer Therapiesitzung. Und doch liegt darin auch der Reiz. So bietet sich ein authentischer Blick auf die Gefühlslage der Israelis zwischen 30 und 40, die in Hedonismus, Sex und einem guten Trip die Erfahrungen aus der Armeezeit und die Bedrohung durch den Terror betäuben. Im Roman sind solche Momente nur am Rand Thema, aber sie wirken nach.

Das Dilemma zwischen den Ansprüchen an ein freies Leben und den Zwängen Israels lässt sich nur durch Flucht bewältigen. Für Amir ist auch die Beziehung zu Philly eine solche, die keine dauerhafte Perspektive bieten kann.

Heitners Roman ist sprachlich teilweise derb und so kompromisslos, wie die Sucht nach Sex, die Amir umtreibt. Kein Buch für nebenbei, aber lesenswert.

Ilan Heitner: „Liebe und anderer Schlamassel“, Kein & Aber, Zürich 2009, 288 S., 18,90 Euro

Warum nicht 
einfach immer 
Sommerzeit?

Seit 30 Jahren stellen die Deutschen Jahr für Jahre ihre Uhren um. Im Frühjahr kommt die Sommerzeit und im Herbst die Winterzeit, die es ja gar nicht gibt. Von den meisten wird dieses Ritual als störend empfunden.

Im Kern handelt es sich bei der Sommerzeit um einen Versuch, das Leben der gesamten Gesellschaft ökonomischer zu gestalten. Nach der Ölkrise 1973 war das Bemühen, Energie zu sparen sehr groß. Wenn es im Sommer länger hell ist, dann wird weniger Strom verbraucht, dachten sich die Verantwortlichen. Im Westeuropa wurde deshalb Ende der 1970er Jahre die Sommerzeit eingeführt. Nur in Deutschland dauerte es etwas länger.

Um tatsächlich wirtschaftlichen Nutzen aus der Zeitumstellung ziehen zu können, mussten hier zu Lande beide Staaten trotz der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Wirtschaftssystemen synchron funktionieren. Vor allem der Verkehr zwischen Ost- und West erforderte dies. 1980 war es dann so weit. Die DDR forcierte die Umstellung. Die Bundesrepublik beschleunigte die Einführung. Als gesamtdeutsches Projekt konnten die Uhren umgestellt werden. Die Fahrpläne der Bahnen harmonierten weiter. Ganz nebenbei wurde so ein kleines Stück gesamtdeutscher Normalität durch das gleichzeitige Drehen am Zeiger festgeschrieben.

Aber der ökonomische Nutzen stellte sich nicht ein. Energie wird nicht gespart. Das bisschen Strom für kürzer brennendes Licht, das weniger benötigt wird, ist nicht messbar. Auch sonst sind keine Vorteile erkennbar. Das merkte schon die DDR, die deshalb mit der Ankündigung, zum Alten zurückkehren zu wollen, deutsch-deutsche Hektik verursachte. Die Sowjetunion aber war vom Nutzen überzeugt. So blieb der DDR-Alleingang aus.

D ie meisten Deutschen erleben seitdem die Nachteile. Die liegen im Befinden, teilweise sogar im gesundheitlichen Wohlergehen. Die Zahl derer, die Schwierigkeiten hat, sich an den neuen Schlafrhythmus anzupassen ist groß. Und das alles nur für einen nicht messbaren wirtschaftlichen Vorteil.

Damit steht die Zeitumstellung für ein Phänomen, das die Gesellschaft beherrscht. Wirtschaftliche Argumente dominieren unser Leben – bis in den Schlaf hinein. Ständige Erreichbarkeit mit Handy und Mail gehört sicherlich auch zum Unbehagen. Deshalb wäre es nicht verkehrt, mit der zeitlichen Fremdbestimmung aufzuhören. Für die Sommerzeit hieße dies, dass sie einfach für immer bleibt.

MOZ-Kommentar…

Dieter B. Herrmann über die Faszination der Sterne

Dieter B. Herrmann (70) kann den Blick von den Sternen nicht abwenden. Der langjährige Leiter der Archenhold-Sternwarte zu Berlin und Gründungsdirektor des Berliner Zeiss-Großplanetariums wird von nun an jeden Monat in der Kolumne „Herrmanns Himmelsblicke“ den Sternenhimmel erläutern – sowohl im Journal als auch im Video auf der MOZ-Internetseite. Mit Andreas Oppermann sprach er über die Faszination, die der Sternenhimmel ausübt.

Märkische Oderzeitung: Herr Herrmann, was sagen Ihnen die Sterne über das Jahr 2010?

Dieter B. Herrmann: Auch wenn zum Jahreswechsel viel in die Sterne geblickt wird, kann man dort dennoch nichts über die Zukunft finden. Die Sterne erzählen uns sehr viel, aber wirklich nichts über unsere direkt bevorstehende Zukunft. Astrologie hat nichts mit Wissenschaft zu tun.

Und dennoch sind die Menschen schon immer davon fasziniert.

Das ist richtig. Schon vor Jahrtausenden in der Antike hat der Mensch in den Sternenhimmel geblickt und versucht, die Bewegung der Sterne zu deuten. Das ist auch nach wie vor so. Aber wer behauptet, die Zukunft in den Sternen zu finden, erzählt Unfug. Allenfalls können Astronomen durch die Beobachtung der kosmischen Phänomene vorhersagen, wie sich unser Sonnensystem entwickeln wird. Aber da sprechen wir nicht vom kommenden Jahr, sondern von den nächsten Jahrmilliarden.

Die Vereinten Nationen hatten das vergangene Jahr zum internationalen der Jahr der Astronomie erklärt. Hat das etwas gebracht?

Ich denke schon. Vor allem in den weniger entwickelten Ländern, in denen es kaum Planetarien gibt, hat diese Initiative beachtlichen Erfolg gehabt. Damit wurde sinnvoll auf die Bedeutung der Naturwissenschaften hingewiesen.

Was genau kann solch ein Jahr der Astronomie bewirken?

Die Astronomie ist eine Wissenschaft, in der sich alle anderen bündeln. Physik, Chemie und Mathematik sind für den Astronomen genauso bedeutsam wie die Biologie. Wenn man also die Astronomie in den Fokus rückt, dann nutzt man die Faszination des Sternenhimmels, um die Naturwissenschaften generell zu stärken. Auch in Brandenburg ist wieder vom Schulfach Astronomie die Rede gewesen.

Aber ist das wirklich sinnvoll? Der Fächerkanon ist schon so voll. Die Verkürzung des Gymnasiums hat dazu geführt, dass die Kinder jetzt die gleiche Menge Stoff in einem Jahr weniger lernen sollen.

Ich sehe in der Astronomie auch eher eine Ergänzung, ein Wahlfach, das nicht zulasten anderer Fächer gehen sollte. Aber sie ist so spannend, dass sie auch die Literatur- und Geschichtswissenschaften berührt.

Gerade sprachen Sie von der Biologie als Teil der Astronomie. Glauben Sie an außerirdisches Leben?

Die Menschen sind doch schon immer von der Möglichkeit fasziniert, dass es womöglich noch anderswo Leben geben könnte. Mit welchem großen Interesse die Entdeckung von Wasser auf dem Mars kommentiert wurde, zeigt das.

Womit aber noch nicht bewiesen ist, dass es Leben, gar intelligentes Leben gibt.

Das ist richtig. Aber wir können heute mithilfe des Weltraumteleskops Hubble verfolgen, wie neue Sonnensysteme in den Weiten des Alls entstehen. Wir begreifen, dass es noch viele Planetensysteme gibt. Die meisten kennen wir noch gar nicht. Wenn man bedenkt, dass wir erst am Anfang der Weltraumforschung sind, dann halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass wir auch noch Leben im All entdecken werden. Ich weiß nicht in welcher Form. Aber dass es kein Leben außer dem auf der Erde geben sollte, scheint mir sehr unwahrscheinlich.

Damit projizieren Sie auch Wünsche in die Sterne, wie es ein Astrologe tut.

Nein. Ich spreche über wissenschaftliche Wahrscheinlichkeiten und nicht über eigene Wünsche oder Sorgen, bei denen mir der Blick in die Sterne angeblich einen Rat geben könnte. Das ist ein ganz großer Unterschied.

Würden Sie den Sternen gern einmal ganz nahe sein und selbst ins Weltall fliegen?

Nein, das muss nicht sein. Es gibt noch so viele Reiseziele auf dieser Erde, die ich gern sehen würde. Etwa in Peru oder Bolivien.

Wo sich ja auch uralte Formen der Sternenbeobachtung finden lassen.

Ja. Da haben wir es wieder. Überall, auch bei den lateinamerikanischen Hochkulturen, gab es diesen Wunsch, die Welt durch den Blick in die Sterne besser verstehen zu lernen.

Nun gibt es aber seit einigen Wochen den sehr konkreten Plan, Touristen ins Weltall zu bringen, damit sie die Erde bestaunen können. Das reizt Sie nicht?

Selbst wenn ich es spannend fände, würde mir bei diesen Preisen der Spaß vergehen. Um kurz die Schwerelosigkeit erleben zu können, sechsstellige Beträge auszugeben, das ist meine Sache nicht.

Sie haben zusammen mit einem Radiosender und einem Hörbuchverlag eine andere Form des Sternenguckens in Berlin populär gemacht …

Das Hörspielkino unterm Sternenhimmel. Aber das war nicht meine Idee. Sie wurde an uns herangetragen. Anfangs war ich sehr skeptisch. Aber ich habe mich eines Besseren belehren lassen. Die Menschen strömen auch nach Jahren noch in diese Veranstaltungen.

Was macht den Reiz aus? Hörbücher kann man auch anderswo hören.

Aber dieses Gemeinschaftserlebnis unter einem großen Sternenhimmel scheint etwas Besonderes zu sein. Die Möglichkeit, sich ganz auf das Gehörte konzentrieren zu können und allenfalls die Gedanken zu den Sternen schweifen zu lassen, hat vielleicht etwas von einer romantischen Sommernacht. Für das Planetarium hat es natürlich den Effekt, dass durch diese neue Form von Veranstaltung neue Besuchergruppen erschlossen werden. Manch einer kommt vielleicht dann auch zu einem normalen Planetariumsbesuch. Und ganz nebenbei ist das Hörspielkino natürlich eine zusätzliche Einnahmequelle.

Ab sofort wollen Sie die Leser der MOZ mit Ihrer Begeisterung für den Sternenhimmel anstecken.

Ich finde das wunderbar, dass die MOZ das Jahr der Astronomie mit einer monatlichen Serie fortsetzt.

Was wollen Sie erläutern?

In meiner Kolumne „Herrmanns Himmelsblicke“ werde ich den Sternenhimmel des Monats erklären. Dabei geht es um Sternbilder und um die Geschichten, die sich hinter diesen Sternbildern verstecken. Außerdem will ich versuchen, auf besondere astronomische Besonderheiten hinweisen, die sich in diesem Monat entdecken lassen.

Sie schreiben nicht nur für die MOZ. Sie stehen auch vor der Kamera.

In der Videokolumne konzent¬riere ich mich auf das Sternbild des Monats. Jeder Monat bietet einen eigenen Blick in den Himmel. In der ersten Folge erzähle ich vom Januarhimmel und dem Orion. Ich bin sehr gespannt, wie das ankommt.

Herrmanns Himmelsblicke bei der MOZ…

Junkers-Bildarchiv zeigt den Aufbruch in die Moderne

Lehrlinge vor dem Junkers-Werk in Dessau. Foto: Steidl-Verlag
Lehrlinge vor dem Junkers-Werk in Dessau. Foto: Steidl-Verlag

Wer denkt bei der Moderne schon an Gasheizung und Warmwasserboiler? Meist wird die Moderne eher mit Beschleunigung im Verkehr – auf Schienen, Straßen und in der Luft – gleichgesetzt. Die Revolution der Annehmlichkeiten in den eigenen vier Wänden wird gern vergessen.

Junkers steht für beide Phänomene. Heute noch gibt es Heizsysteme gleichen Namens. DieWarmwassertherme, die mit Gas betrieben wird, war eine Erfindung von Hugo Junkers (1859–1935). Vor allem aber verbindet man seinen Namen mit Flugzeugen. Das bekannteste ist sicherlich die JU 52, der robuste Omnibus der Lüfte, ohne den sowohl die Lufthansa als auch Hitlers Luftwaffe nicht so effektiv gewesen wären.

Entwurf für ein Werbe-Plakat. Foto: Steidl-Verlag
Entwurf für ein Werbe-Plakat. Foto: Steidl-Verlag

„Junkers Dessau“ heißt ein Fotoband, der die Menschen und die Produkte aus Junkers Firmenimperium in Erinnerung ruft. Und damit ein Stück deutscher Industriegeschichte buchstäblich ins Bild rückt. Hans Georg Hiller von Gaer¬tringen konnte dafür den Teil des einst riesigen Firmenbildarchivs auswerten, der in der Familie Junkers überdauerte und inzwischen dem deutschen Museum in München überlassen wurde.

Dass nur diese vergleichsweise wenigen Aufnahmen erhalten geblieben sind, dafür waren die Nationalsozialisten maßgeblich verantwortlich. Diese hatten Hugo Junkers, einen frei denkenden Weltbürger und für sie politisch unzuverlässig, 1933 enteignet, um sich die Innovationen, Patente und Anlagen seiner Flugzeugproduktion zu sichern. Zwar trugen Flugzeuge wie der Sturzkampfbomber JU 87 dann noch immer den Namen Junkers, doch verantwortlich für den Bau waren andere. Diese Enteignung und später die Demontage der Junkerswerke nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten dafür, dass das Bildarchiv verschwand oder zerstört wurde.

Flugzeuge prägten die Firmengeschichte. Foto: Steidl-Verlag
Flugzeuge prägten die Firmengeschichte. Foto: Steidl-Verlag

Wie groß dieser Verlust für die deutsche Industriegeschichte ist, lässt der Bildband erahnen. In ihm sind die unterschiedlichen Teile des Konzerns in Kapitel gefasst. Eines zeigt Luftbilder, die Junkers mit einer eignen Firma vermarktete. Diese Aufnahmen veränderten in den 20er-Jahren den Blick der Architekten, Städteplaner und Politiker auf die Welt und die Städte. Erstmals konnten sich Menschen einen gesamten Eindruck von einer ganzen Stadt oder von Verkehrswegen in der Landschaft machen. Die Kartografie verbesserte sich.

Auch die gesellschaftlichen Entwicklungen der 20er-Jahre finden in dem Band Beachtung. Ein Beispiel liefert die Werbefotografie für die Warmwassertechnik. Entblößte Frauenrücken werden beim Einstieg in die Badewanne ins rechte Licht gerückt. Man wirbt mit täglichem Badespaß – und mit wohliger Wärme. Einer Wärme, die nicht durch das stinkende Verbrennen von Kohle erzeugt wird, sondern durch fast geruchloses Gas, das direkt von der Leitung in den Brenner fließt.

Luftbilder waren Teil des Geschäfts bei Junkers. Foto: Steidl-Verlag
Luftbilder waren Teil des Geschäfts bei Junkers. Foto: Steidl-Verlag

Gerade die Werbefotografie zeigt zudem Einflüsse des Bauhauses. Junkers scheute sich nicht, mit den Künstlern der auch in Dessau ansässigen Hochschule zusammenzuarbeiten.

Nicht zuletzt dokumentiert der klug kommentierte Bildband ein bedeutendes Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte. Sowohl die Rückschläge durch Abstürze als auch die optimistische Aneignung der ganzen Welt durch die schnellen Flugverbindungen.

„Junkers Dessau“ hebt einen Schatz Bilder, die es wert sind, betrachtet zu werden. Deren Auswahl und die Begleittexte sind fundiert, präzise und eine Bereicherung.

Hans G. von Gaertringen (Hrsg.): „Junkers Dessau – Fotografie und Werbegrafik 1892–1933“, Steidl 2009, 143 S., 45 Euro

MOZ-Rezension…

Frank Schulz wünscht sich „Mehr Liebe“

Mit der Liebe ist es ja so ein Ding. Fast jeder wünscht sie sich. Einfach, unkompliziert und wärmend soll sie sein. Doch genau das ist sie dann oft nicht. Frank Schulz hat in seinem neuen Buch 22 Erzählungen zum Thema Liebe veröffentlicht, die dieses Gefühl in all seinen Varianten von zärtlich und vergeblich bis brutal und gewaltig nachzeichnen.

Für Harry Rowohlt ist Frank Schulz einer der Großmeister deutscher Komik. Seine „Hagener Trilogie“ hat viele Leser gefunden, die sich von der sprachlichen Kraft und dem norddeutschen trockenen Humor begeistert zeigten. Sein letzter Roman, „Das Ouzo-Orakel“ brachte diese Könnerschaft zur Vollendung.

Mit „Mehr Liebe“ stellt Schulz nicht mehr sein bekanntes Personal aus „Kolks Bräute“ ins Zentrum der Erzählung, sondern tatsächlich dieses wunderbare Gefühl, das die Kraft hat, alle Menschen zu verändern. Deshalb schreibt er davon, wie die Eifersucht nagt, wie das Lächeln einer Bäckersfrau der Sonnenschein sein oder wie ein verräterischer Zettel eine lange Beziehung zerstören kann.

Frank Schulz nimmt seine Figuren dabei sehr ernst. Er will keine billigen Witze reißen, indem er seine Protagonisten auf klischeehafte Verhaltensweisen reduziert. Seinen Humor erzeugt er durch gut beobachtete Details, die den Riss zwischen Anspruch und Wirklichkeit sichtbar machen. Diese Details wirken zudem oft erst auf der nächsten Seite richtig. Und so sind die Erzählungen stets auch Entdeckungsreisen in die eigene Beobachtungsgabe.

Verblüffend exakt schafft es Schulz die Erfahrungen der Alltagskultur mit Popmusik oder Fußball auf dem Lande in seine Literatur einzubauen. Das Nennen eines Liedtitels genügt, um beim Leser das gewünschte Gefühl zu erzeugen. Auch deshalb ist Schulz tatsächlich ein Meister. Einer des Schreibens und einer des Humors. Denn ohne zu schmunzeln lässt sich die Liebe in all ihren Facetten dieses Buches gar nicht ertragen.

Frank Schulz: „Mehr Liebe – Heikle Geschichten“, Galiani Berlin 2010, 292 S., 
19,95 Euro MOZ-Rezension…

Paul ist ein Ost-Exportschlager

Die Suche nach dem richtigen Vornamen beschäftigt angehende Eltern sehr. In Leipzig berät Gabriele Rodriguez nicht nur Eltern, sondern auch Standesämter sowie Gerichte. Andreas Oppermann informierte sich bei der Sprachwissenschaftlerin über Trends und regionale Besonderheiten.

Frau Rodriguez, mit welchen Anliegen kommen angehende Eltern zu Ihnen?

Gabriele Rodriguez: In den meisten Fällen werden Eltern von Standesämtern an uns verwiesen, um eine Bescheinigung für die Verwendung eines bestimmten Namens zu bekommen. Wir haben in Deutschland eine freie Vornamenwahl, mit einigen Einschränkungen: Der Name muss einen Vornamen-Charakter haben. Er muss das Geschlecht eindeutig benennen oder mit einem Zweitnamen versehen werden. Und das Wohl des Kindes muss gewährleistet sein.

Das klingt nicht sehr kompliziert.

Aus Sicht der Standesämter ist das gar nicht so einfach, weil in Deutschland immer mehr neue Namen eingetragen werden, die es in den Verzeichnissen der Standesämter gar nicht gibt. Außerdem gibt es wegen internationaler Einflüsse Probleme mit der Eindeutigkeit des Geschlechts. Ich heiße Gabriele. In Italien ist das ein Männername, in Deutschland ganz klar ein Frauenname. Und immer wieder geht es auch um die Frage des Wohles des Kindes. Wir erstellen dann Gutachten für Gerichte, um zu bewerten, ob Namen eintragungsfähig sind oder nicht.

Ist der internationale Einfluss so stark?

In den letzten zehn Jahren betrifft die Hälfte der Anfragen ausländische Namen. Jedes vierte Kind, das in Deutschland geboren wird, hat einen Migrationshintergrund.

Was sind denn die skurrilsten Namen, die Sie ablehnen mussten?

Das sind nicht so viele. Aber Crazy Horse, Borrusia, Whisky, Kirsche, Schröder oder Pfefferminze mussten wir ablehnen.

Pfefferminze als Vorname?

Ja, genauso wie Rumpelstilzchen, Joghurt oder Porsche.

Wollte da ein Porschefreund mit Mercedes gleichziehen?

Genau. Aber man muss natürlich wissen, wie diese Firmennamen entstanden sind. Mercedes ist tatsächlich ein Vorname, während Porsche ein Familienname ist. Familiennamen sind in Deutschland als Vorname nicht zulässig.

Welche Trends bei Vornamen beobachten Sie?

Der größte Trend ist eine ganz starke Individualisierung. Eltern wollen ihrem Kind oft einen seltenen, individuellen Namen geben. Das hängt mit unserer Gesellschaft zusammen, die stark individualistisch geprägt ist. Außerdem aber viele Eltern nur noch ein Kind, das soll dann etwas ganz Besonderes sein. Die freie Vornamenwahl erlaubt es den Eltern zudem, Kindern auch Namen aus anderen Kulturkreisen zu geben. Wir haben inzwischen deutsche Kinder mit japanischen oder indischen Namen.

Können Sie anhand der Namen erkennen, welche soziale Stellung die Eltern haben?

In diesem Zusammenhang gibt es zwei Trends, die auf das Milieu und den Bildungsstand der Eltern schließen lassen. Alte Namen sind bei Akademikern im Trend. Alle 100 Jahre gibt es eine Rückbesinnung auf alte deutsche Namen. Friedrich, Konrad, Karl sind dafür Beispiele. Oder Leopold, Arthur, Richard oder Edgar. Bei den Mädchen Ida, Irmgard, Irmhild. Ergänzt wird das um die traditionellen Namen wie Maximilian, Paul, Alexander oder Emma, Julia und Maria.

Und bei bildungsferneren Schichten?

Dort orientieren sich viele Eltern eher an TV, Musik und Sport. Deshalb gibt es dort einen Trend zu englischen und amerikanischen Namen.

Aber Kevin ist auf dem Rückzug?

Dafür kommen andere wie Quentin, Jason, Maddox, Lennox, Lenny und so weiter. Interessant ist, dass viele dieser Namen biblischen Ursprungs sind: Jeremy ist ein Jeremias, Simon ein Simon, Jason ein Jason. Das deutet aber nicht auf eine religiösere Gesellschaft. Im englischen Sprachraum haben biblische Namen eine größere Bedeutung. Den Hintergrund kennen viele deutsche Eltern gar nicht.

Erforschen Sie auch, was aus den Trägern bestimmter Namen wird?

Wenn wir das Beispiel Kevin nehmen, stellen wir fest, dass dieser Name vor 20 bis 30 Jahren vor allen von Akademikern vergeben wurde. Kevinismus als Synonym für Unterschicht hat mit diesen Kevins nichts zu tun. Der Name ist durch eine Reihe von Einflüssen vor gut zehn Jahren in bildungsfernen Kreisen populär geworden. Dort wurde er inflationär vergeben. Lehrer, die sagen, dass sie mit Kevins fast immer Probleme haben, identifizieren mit diesem Namen eine Herkunft, die in der Schule eher Probleme hat.

Heute ist er aber schon wieder aus der Mode?

Kevin ja, aber englische Namen nicht. Diese werden sehr oft mit Unterschicht assoziiert. Umgedreht werden alte Namen als intelligent eingestuft, weil der familiäre Hintergrund dafür spricht.

In unserem Verbreitungsgebiet ist der Paul am häufigsten, gefolgt von Jonas, Ben, Maximilian, Tim, Finn.

Das sind in der Tat sehr häufige Namen. Aber wenn früher die häufigsten Namen bei zehn Prozent der Kinder vergeben wurden, so sind es heute nur noch ein bis zwei eines Jahrgangs, die einen so häufigen Namen tragen. Im Gegenzug wächst der Bestand an Vornamen. Dies spiegelt den Trend zur Individualisierung. Jede Woche wird in Deutschland ein neuer Name in die Listen aufgenommen, den es so noch nicht gegeben hat.

Es gibt auch Namen, die mit der DDR verbunden werden.

In der ehemaligen DDR waren Sindy, Ronny, Peggy und so weiter sehr verbreitet. Man spricht sogar direkt von DDR-Namen. In Kimberly, Amy, Chelsea, Lenny oder Lily finden sie ihre Fortsetzung. Wenn sie ausgesprochen werden, enden sie auf „i“. Im Süden der ehemaligen DDR werden solche Namen gern verwendet, weil sie mit dem Dialekt harmonieren. Im Sächsischen wird sehr viel verkleinert, da passen solche Namen sehr gut. Je weiter wir in den Norden kommen, erhöht sich die Verwendung nordischer Namen.

Gibt es heute noch DDR-Namen, die bundesweit von Bedeutung sind?

Bevor Paul bundesweit unter die zehn häufigsten Vornamen gekommen ist, war er schon immer in der DDR Spitzenreiter. Insofern ist er ein Ostexport. Im Westen war er nicht so bekannt, hat dort aber Karriere gemacht. Heute gehört er regelmäßig zu den fünf beliebtesten Jungen-Namen. Auch andere alte Namen wir Friedrich oder Karl sind im Osten verbreiteter als im Westen.

Kann man anhand der Häufigkeit der Vornamen heute noch erkennen, ob man in einer katholisch, evangelisch oder atheistisch geprägten Gegend ist?

Wenn Sie in den Süden kommen, spielt das Benennen nach Taufpaten eine größere Rolle, auch nach mehreren Taufpaten. Im Süden finden Sie zudem eher die Vollformen der Namen: Maximilian, im Norden eher die Kurzform wie Max. Im Osten gibt es viel seltener Zweit- oder gar Drittnamen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es zudem eine immer freiere Vornamenwahl. Davor war sie oft noch gebunden. Viele Kinder bekamen den Vornamen des Paten. Umso besser dessen soziale Stellung war, umso mehr Kinder wurden nach ihm benannt. Ein weiteres Kriterium war die Unterschutzstellung der Kinder unter Heilige. Entsprechend waren solche Namen in katholischen Gegenden verbreiterter. Das gibt es heute kaum noch.

Welchen Rat geben Sie werdenden Eltern? Was sollten sie unbedingt vermeiden?

Wenn das Kind einen ungewöhnlichen Namen bekommt, sollte er mit einem gewöhnlichen Namen kombiniert werden. Dann hat das Kind später die Wahlmöglichkeit. Der Rufname wird im Ausweis ja nicht mehr unterstrichen. Jeder Name darf als Rufname verwendet werden. Zudem sollte der Vorname immer zum Familiennamen passen; sie sollten eine stilistische und klangliche Einheit bilden. Und bevor die Eltern den Namen vergeben, sollten sie sich überlegen, wie es für sie wäre, wenn sie so hießen. Könnten sie damit leben? Auf Rechtschreibung zu achten ist auch hilfreich.

Spielt die Bedeutung der Namen noch eine Rolle?

Ich empfehle immer, darauf zu achten. Der englische Name Malory geht zum Beispiel aufs französische Malheur zurück. Vielleicht kommt das Kind mal ins Ausland. Wollen Sie dann so heißen? Oder Fea. Im Spanischen heißt das die Hässliche. Das kann für das Kind später mal peinlich werden.

ZUR PERSON

Gabriele Rodriguez ist Sprachwissenschaftlerin. Sie arbeitet in der Namenberatungsstelle der Universität Leipzig, die eng mit der Abteilung für Deutsch-Slavische Namenforschung des Instituts für Slavistik und der Gesellschaft für Namenkunde e. V. kooperiert.

MOZ-Interview…

20 Jahre Brandenburg: Das Land putzt sich heraus

Einst und Jetzt - Land Brandenburg
Einst und Jetzt - Land Brandenburg

Rechtzeitig zu den Feierlichkeiten von 20 Jahren Brandenburg hat die Märkische Oderzeitung das Buch „Einst und Jetzt – Land Brandenburg“ veröffentlicht.

Der Wandel in Brandenburg hat sich für die Bewohner Schritt für Schritt vollzogen. Deshalb ist vielen gar nicht bewusst, wie stark sich die Städte und Gemeinden, die Infrastruktur aber auch ganze Landschaften verändert haben. Wer das Buch „Einst und Jetzt – Land Brandenburg“ durchblättert, wird überrascht sein, wie nachhaltig die Veränderungen sind.

Das Buch stellt Fotos aus der Zeit um 1990 Bildern aus diesem Sommer gegenüber. Knappe Texte der Potsdamer Autorin Hanne Bahra ordnen die Bildpaare ein und erzählen von denjenigen, die sich für den Erhalt von Gebäuden oder die Wiederbelebung alter Traditionen stark gemacht haben. Im Buch sind sie ausführlicher als auf dieser Seite.

Aus allen ehemaligen Altkreisen Brandenburgs sind Beispiele versammelt. Thematisch geht es um Schlösser, Herrenhäuser, Kirchen und Altstadtensembles. Aber auch die Veränderung in den den Natur- und Landschaftsparks sind abgebildet. Und die in der Wirtschaft, etwa in Schwarze Pumpe, im Mercedes-Werk in Ludwigsfelde oder im EKO Eisenhüttenstadt.

Abgerundet wird das Buch mit einigen Statistikseiten. Wer weiß schon, dass die Bevölkerung Brandenburgs kaum geschrumpft ist? Und dass die Anzahl der Ärzte um 46 Prozent gestiegen ist?

www.moz.de/shop