Minimalistische Klänge von Philip Glass und dem Kronos Quartet veredeln Dracula

Sie haben sich versteckt. Obwohl die Fledermaus-Kolonie in der Spandauer Zitadelle zu den größten Berlins zählt, ließen sich die fliegenden Nager nicht blicken. Nur eine Fledermaus tauchte zu den Klängen von Philip Glass und dem Kronos-Quartet am Donnerstagabend auf: Dracula. Als die Dämmerung das Tageslicht fast verschluckt hat, beginnt ein außergewöhnliches Konzert. Philip Glass hat zum Spielfilm „Dracula“ von 1931 vor über zehn Jahren eine Filmmusik geschrieben. Der Rechteinhaber hatte den Film mit Bela Lugosi als Graf Dracula restaurieren lassen. Da der Streifen keine Musik hatte, wurde einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten beauftragt, der nicht nur Opern und Kammermusik, sondern auch viel Filmmusik komponiert hat.

Eingespielt wurde die Musik schon damals mit dem Kronos-Quartet aus San Francisco, dem wohl einflussreichsten Streichquartett für Neue Musik. Glass und Kronos vereint die stete Überschreitung vermeintlicher Grenzen. Beide arbeiten sowohl klassisch als auch populär.

Dieses Verständnis von einer grenzenlosen Musik, die sich an der Entdeckung von Ungehörtem orientiert und gleichermaßen Kopf und Bauch des Zuhörers fordert, ist beim Berliner Auftritt allgegenwärtig. Und das, obwohl die Musik nur Teil des Abends ist. Der alte Tonfilm läuft auch noch.

Philip Glass hat mit seinen minimalistischen Tonfiguren, die in immer neu variierten Schleifen mit unterschiedlicher Beschleunigung und tragenden Instrumenten dem Film einen großen Dienst erwiesen. Immer da, wo die Handlung nicht stimmig ist, erzeugt die Musik mit ihren Loops für thematische Klammern. Und da, wo Filmtricks aus dem Jahr 1931 – etwa bei ins Zimmer fliegenden Riesen-Fledermäusen – heute nur noch für mitleidiges Gelächter sorgen, intoniert die Musik den dramatischen Ernst.

Diese Symbiose aus neuer Musik und altem Film lockt 1300 Zuhörer in die Zitadelle. Das internationale Publikum ist begeistert. Standing Ovations bejubeln den seltenen Auftritt. Der Applaus dankt für ein Erlebnis, das Glass in einem Interview so zusammenfasste: „Wenn wir über meine Musik reden, reden wir über eine Welt, die nicht diejenige ist, in der wir leben.“ Das gilt für die Musik und für Dracula. Und wohl auch für die Fledermäuse, die ihre Heimat an diesem Abend nicht wiedererkannten.

Philip Glass spielt zu „Dracula“ auch am Sonnabend in Dresden.

MOZ-Rezension…

Burroughs und Kerouc lassen Nilpferdekochen

Burroughs/Kerouac: Und die Nilpferde kochten im Becken
Burroughs/Kerouac: Und die Nilpferde kochten im Becken

Ein Debüt-Roman aus dem Nachlass ist eine seltsame Sache. Der Autor wird schon seine Gründe gehabt haben, dass das Buch nicht erschienen ist. Das gilt auch für die schon spektakulär zu nennende Veröffentlichung des ersten Buches von Jack Kerouac und William S. Burroughs.

„Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“ ist nicht nur ein erstaunliches Debüt. Es ist vor allem ein Roman von zwei Autoren, die beide zu den wichtigsten der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts gehören. Zusammen mit Allen Ginsberg sind sie die Vertreter der Beatniks. Sie haben mit ihrem konsequenten Leben abseits des US-Mainstreams einer ganzen Generation gezeigt, dass Karriere, Wohlstand, Glaube und Familie nicht die Grundlagen für ein erfülltes Leben sein müssen.

Beide erzählen aus ihrer eigenen Perspektive von einem Ereignis, das sie selbst erlebt haben. Burroughs nennt sich Will Dennison, Kerouac wählt den Erzählernamen Mike Ryko. Durch die Doppelperspektive beleuchten sie die letzten Tage von Al. Der ist unsterblich in Philipp verliebt und nervt ihn damit. Philipp möchte sich Al entziehen, indem er sich mit Ryko als Matrose einschiffen will, um von New York nach Europa zu fliehen.

Die Leser lernen den Freundeskreis dieser Bohemians kennen, die in der Phase des späten Zweiten Weltkriegs zwischen Universität und Alkohol, zwischen Kunstprojekten und Drogen die Tage und Nächte zubringen. Ganz wichtig sind dabei die erstaunlich oberflächlichen Beziehungen zwischen schwulen Männern, aber auch die zwischen Männern und Frauen. Der Titel des Buches ist ein Zitat aus einem Zeitungstext, das die schwül-überhitzte Atmosphäre des Freundeskreises auf den Punkt bringt.

Burroughs und Kerouac schaffen es, durch ihre konsequent subjektive Perspektive dem Geschehen einen jeweils anderen Ton zu geben. Das geht bis hin zur Ermordung Als durch Philipp. Auch das ist tatsächlich passiert. Am 14. August 1944 er¬stach ein gewisser Lucien Carr einen David Kammerer. Und anschließend ging Lucien Carr zu den Freunden Burroughs und Kerouac, um Hilfe und Trost zu suchen.

Die beiden Autoren haben diese Geschichte zu einem Roman verarbeitet. Dabei bleiben sie nah am Geschehen. Dennoch verdichten sie die Atmosphäre zu einem erstaunlichen Stück Literatur.

Dass ihr Debüt erst jetzt erschienen ist, hat nicht mit minderer Qualität zu tun. Burroughs und Kerouac verzichteten zu ihren Lebzeiten auf die Veröffentlichung aus Rücksicht auf Lucien Carr alias Philipp. Denn der wurde nach einer Haftstrafe ein erfolgreicher Journalist. Doch zum Glück wurde das Manuskript nicht vernichtet, sondern 40 Jahre nach dem Tod Kerouacs und zwölf nach dem von Burroughs veröffentlicht.

William S. Burroughs / Jack Kerouac: „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“, Nagel & Kimche, Zürich 2010, 190 S., 17,90 Euro MOZ-Rezension…

Neues in der MOZ-Buchreihe Einst und Jetzt

Gleich zwei neue Bücher der „Edition Brandenburg“ sind zum Wochenende erschienen. Band zwei der Reihe „Einst und Jetzt“ widmet sich Frankfurt (Oder) / Slubice; Band drei Rüdersdorf bei Berlin.Die Märkische Oderzeitung und der Regionalverlag CulturconMedien geben die Reihe gemeinsam heraus. In ihr werden historische Fotos mit aktuellen Bildern aus der gleichen Perspektive kombiniert. Knappe Texte erläutern die Veränderungen. So wird an konkreten Beispielen gezeigt, wie sich Frankfurt und Rüdersdorf gewandelt haben – und warum.

Frank Mangelsdorf, Chefredakteur der MOZ, benennt den Reiz der Reihe: „Damit werden Erinnerungen geweckt.“ Das gilt für die Menschen, die in Frankfurt oder Rüdersdorf leben und für jene, die weggezogen sind.

Die Texte des Buchs über Frankfurt hat mit Jörg Kotterba ein Redakteur der MOZ geschrieben, der seit 20 Jahren in der Stadt lebt. Für ihn brachte die Arbeit zusammen mit Fotograf Heinz Köhler viele Entdeckungen. Etwa in der Dammvorstadt, dem heutigen Slubice. Unterstützt wurde das Team von Bernhard Klemm und dem historischen Verein Frankfurts.

Margrit Höfer war federführend am Band Rüdersdorf beteiligt. Die MOZ-Redakteurin schrieb die Texte zusammen mit Dieter Nickel und Ortschronist Reinhard Kienitz. Gerd Markert und Edgar Nemschok steuerten die aktuellen Fotografien bei.

Beide Bücher zeichnet neben der großen Genauigkeit die Darstellung aus. Das historische Foto ist stets auf einer ganzen Seite abgebildet. Die gegenwärtige Ansicht ist zusammen mit dem erläuternden Texten auf der gegenüberliegenden Seite. Dadurch kommen die Veränderungen besonders gut zur Wirkung. Der sehr gute Druck überzeugt ebenfalls.

– Einst und Jetzt – Frankfurt (Oder)/Slubice ist im Buchhandel erhältlich. Beim Bunten Hering wird das Buch im MOZ-Zelt und am Stand des Historischen Vereins verkauft.

– Einst und Jetzt – Rüdersdorf bei Berlin gibt es in den Buchläden. Beim Bergfest zum 775. Jubiläum der Gemeinde ist es am MOZ-Stand und im Museumshop erhältlich.

– Die Bücher (Preis jeweils 14,95 Euro) können unter www.moz.de/shop bestellt werden; telefonisch unter 01801 3357770