Michael Ruetz hat die Fotos von den 68ern

Michael Ruetz: DIE UNBEQUEME ZEIT – DAS JAHRZEHNT UM 1968
Michael Ruetz: DIE UNBEQUEME ZEIT – DAS JAHRZEHNT UM 1968

Jeder, der sich für Zeitgeschichte interessiert, hat seine Fotos schon gesehen: Michael Ruetz (68). Der Steidl Verlag hat passend zum 40. Jahrestag der 68er Bewegung die großartigen Fotos von Ruetz in einem Bildband zusammengefasst.

Ob Rudi Dutschke oder Gudrun Ensslin, ob die Anti-Springer-Demos oder der Prager  Frühling, Michael Ruetz hat die politische Dimension von 1968 in Fotos gebannt, in denen die Dramatik noch heute wirkt. Zwar sind Fotos an sich ruhig und zweidimensional, doch Ruetz‘ Bilder fangen die Atmosphäre von 1968 und den folgenden Jahren ganz genau ein.
Viel besser, als manche TV-Doku. Denn beim Betrachten bleibt Zeit zum Nachdenken.

Michael Ruetz: DIE UNBEQUEME ZEIT – DAS JAHRZEHNT UM 1968. STEIDL VERLAG. 40 EURO.

 

Peter-Paul Zahl amüsiert auch 30 Jahre später

Peter-Paul Zahl: Die Glücklichen
Peter-Paul Zahl: Die Glücklichen

Dieses Buch ist ein ganz eigener Kosmos. Peter-Paul Zahl, ein studentenbewegter  Linker, der in den frühen 70er Jahren ins terroristische Umfeld abrutschte, schildert den Zerfall der 68er-Bewegung in Deutschland aus der Sicht einer Berliner WG.

Zahl erzählt von den gemeinsamen Demos gegen die Springer-Konzern, er erzählt von  Militanten und  kommunistischen Dogmatikern und er erzählt von der Solidarität, die die Terroristen der  RAF und der Bewegung 2. Juni in den linken WGs genossen. Das Ganze montiert er aus unendlich vielen Zitaten und Handlungssträngen zu einem Schelmenroman gegen die Obrigkeit. Das ist oft lustig, vielfach bedenkenswert und auf jeden Fall literarisch gelungen.

Peter-Paul Zahl: DIE GLÜCKLICHEN – EIN SCHELMENROMAN. DAS NEUE BERLIN
19,90 EURO.

 

Herbert Marcuse ist nach wie vor aktuell

Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch
Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch

1964 ist das Hauptwerk des Philosophen und Soziologen Herbert Marcuse erschienen. Der eindimensionale Mensch ist das zentrale Werk, auf das sich die Studentenbewegung der 68er bezieht. Marcuse stellt fest, dass die Industriegesellschaft genug Mittel hat, den Hunger und die Krankheiten der Welt zu bekämpfen. Aber die Mittel werden falsch eingesetzt.

Sie werden zur Zerstreuung eingesetzt, zur vollständigen Herrschaft der Wirtschaft und ihrer Produkte über den Menschen. Das stete Wirtschaftswachstum hat nach Marcuse dazu geführt, dass immer Menschen am Wohlstand teilhaben. Aber zum Preis der  Unterentwicklung der armen Länder. Das ist auch heute noch lesenswert.

Herbert Marcuse: DER EINDIMENSIONALE MENSCH, DTV 9,90 EURO.

Milan Kundera schreibt von Liebesglück und politischem Leid

Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Prag 1968: Der Einmarsch der sowjetischen Truppen wirkt sich auf die Liebe eines ungleichen Paares direkt aus. Tomas und Teresa verlassen die Tschechoslowakei. Sie ziehen nach Zürich, doch Prag lässt vor allem Teresa nicht los. Milan Kundera erzählt in seinem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ vom Ineinandergreifen des privaten und des politischen Lebens. Und von der erstaunlichen Kraft der Liebe.

1984 ist Kunderas Roman in Paris erschienen. Der Autor hat 1975 seine Heimat Tschechien verlassen. Sein Buch über den Arzt und Frauenhelden Tomas und seine Lebensgefährtin Teresa ist vor allem ein großartiger Liebesroman. Die Personen werden in all ihren Widersprüchen zum Leben erweckt. Kundera versteht es, die unterschiedlichen Perspektiven, den männlichen und den weiblichen Blick auf die Beziehung, auf die Liebschaften und auf die anderen im Roman auftretenden Paare darzustellen.

Und Kundera gelingt es immer, das politische Handeln seiner Figuren in ihrer gebrochenen
Wirkung zu zeigen. Da ist zum Beispiel Teresa, die als Fotografin Hunderte Filme von der Niederschlagung des Prager Frühlings fotografiert. Damit dokumentiert sie, was in Prag geschieht. Ihre Fotos erscheinen in westlichen Zeitungen und Zeitschriften. Ohne diese Bilder wäre das Entsetzen im Westen viel kleiner. Doch später werden die gleichen Fotos von der tschechischen Stasi benutzt, um Aktivisten des Widerstandes gegen die kommunistische Diktatur aus Moskau zu erkennen und zu verfolgen.

Für Teresa stellt sich in den Jahren nach 1968 die Frage, ob sie sich mit ihren Fotos deshalb schuldig gemacht hat. Sie nimmt die Kamera nicht mehr in die Hand. Ein Leserbrief zur Unmoral der kommunistischen Mitläufer vor 1968 kostet Tomas die geliebte
Arbeit als Chirurg. Kundera beschreibt ganz detailliert, wie die tschechische Stasi  Menschen, Familien und die Gesellschaft in Angst versetzt. Wie sie mit Lügen und Druck, Karrieren zerstört, Beziehungen ruiniert. Und wie der aufrechte Gang um den hohen Preis des gesellschaftlichen Abstiegs doch auch zu innerer Freiheit führen kann.

„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ hat nichts an seiner Kraft verloren. Auch wenn sich die politische Situation seit dem Fall der Mauer radikal verändert hat.

MILAN KUNDERA: DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS, FISCHER, 9,95 EURO.