Johannes Willms liefert die Gebrauchanweisung für Frankreich

Der Piper-Verlag hat mit seiner Reihe Gebrauchsanweisung für eine kleine Länderkunde für Reiselustige aufgebaut. Johannes Willms, der früher die ZDF-Sendung „Aspekte“ leitete, dann das Feuilleton der Süddeutschen und inzwischen für diese als Kulturkorrespondent in Paris lebt, ist ein Kenner ganz Frankreichs. Der Napoleon-
Biograf hat das gesamte Land bereist und versteht es, liebevoll von den Besonderheiten der Grande Nation zu erzählen.

Wer die 190 Seiten gelesen hat, ist gut auf eine Reise vorbereitet. Er weiß, worauf es sich zu achten lohnt und wofür keine Zeit eingeplant werden muss. Dabei läuft Willms nie Gefahr, nur die Postkarten-Ansichten zu schildern oder sich in Klischées zu verheddern.

Johannes Willms: Gebrauchsanweisung für Frankreich. Piper, 12,90 EURO

Sheila Quigley brilliert mit „Lauf nach Hause“

Debüts sind häufig problematisch. Junge Autoren schreiben meist autobiografisch, was sie selbst schon erlebt haben – und oft ist das nicht viel. Anders bei Sheila Quigley. „Lauf nach Hause“ ist ein ungewöhnlicher Thriller, der von Quigleys Biografie profitiert, ohne zu dominieren.

Heldin Kerry ist 16 und will mithilfe des Sports der Armut und dem Suff der Mutter in Newcastle entgehen. Als ihre Schwester (13) entführt wird, macht sie sich auf die Suche nach ihr – und kommt den dunklen Seiten der Familie auf die Spur. Quigley hat die Armut selbst erlebt. Das macht das Buch authentisch.

Doch die vielen überraschenden Wendungen, mit denen die Leser gefesselt werden, fallen nur einer guten Autorin ein.

Sheila Quigley: Lauf nach Hause. dtv, 14 Euro

Daniel Odija zersägt im Sägewerk die Globalisierung

Das Buch hat nur 173 Seiten. Doch auf ihnen beschreibt der junge polnische Schriftsteller Daniel Odija (Jahrgang 1974) die Verhältnisse auf dem Land im heutigen Polen so drastisch und direkt, dass es einem fast zu viel werden könnte.

Doch „Das Sägewerk“ legt man nicht aus der Hand. Dazu schildert Odija den Aufstieg und Abstieg des Sägewerkbesitzers zu eindringlich. Mysliwski nutzt den Zusammenbruch
des Kommunismus eiskalt aus. Doch dem Druck der neuen Mächtigen kann er letztendlich
nicht standhalten. Trotz seiner Brutalität. „Das Sägewerk“ ist ein eindringlicher Roman über die Auswirkungen der Globalisierung bei unserem östlichen Nachbarn. Vor allem aber ist es ein richtig gutes Buch.

Daniel Odija: Das Sägewerk; Zsolnay, 17,90 EURO.

Die Tränen von Simplizissimus Günter Grass

Dass Günter Grass (78) bei der Waffen-SS war, weiß inzwischen jeder. Jetzt streitet sich die Öffentlichkeit darüber, ob sich Grass richtig erinnert hat. Doch diese Diskussion hat nichts mit dem autobiografischen Roman „Beim Häuten der Zwiebel“ zu tun. Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat keine Autobiografie geschrieben. Auf den gesamten 480 Seiten spielen Zitate oder historische Quellen keine Rolle. Grass hat einen Lebensroman über sich selbst geschrieben.

So wie er das in der „Blechtrommel“ und dem Rest der „Danziger Trilogie“ auch schon getan hat. Nur diesmal hat die literarische Figur den Namen Günter Grass. Gerade am Beispiel des vierten Kapitels „Wie ich das Fürchten lernte“ zeigt sich sehr deutlich, in
welchem Maße der gesamte Text Literatur ist. Der Günter dieses Kapitels ist ein Wiedergänger der barocken Romanfigur Simplicius Simplizissimus. Genau wie dieser
bewegt sich Günter eher traumwandlerisch durch die Welt des Militärs und des Krieges.

Simplizissimus übersteht dank seiner Einfalt den 30-jährigen Krieg. Der junge Soldat der Waffen-SS, Günter Grass, stolpert durch die Abwehrschlacht von Spremberg 1945. Erst in der Gefangenschaft beginnt er zu denken. Ähnlich wie Simplizissimus treibt Günter dann auch durch das Nachkriegsdeutschland. Er übernimmt verschiedene Jobs in unterschiedlichen Regionen. Und so wie Simplizissimus nie mehr in den Spessart zurückkehrt, weil das der Krieg unmöglich machte, kann klein Günterchen nicht zurück
nach Danzig.

In der zweiten Hälfte dieses sprachlich-formalen Barock-Romans beginnt sich Günter zu bilden. Mit der Bildung wachsen die Zweifel am bisherigen Leben – auch diese Haltung nimmt Simplizissimus als Ich-Erzähler von Grimmelshausens Roman ein. Ob diese Form des Erinnerns und Offenbarens dunkler Stellen in der eigenen Biografie die moralisch
richtige ist, kann bezweifelt werden. Sicher aber ist, dass es Grass so schafft, eine für ihn angemessene Form zu finden. Da sich die Kritiker an Grass‘ spätem Bekenntnis nur mit Fakten auseinandersetzen, gehen sie dem Schelm Simplizissimus Günter auf den literarischen Leim. Denn durch die Kunst entzieht sich der Mensch Grass den Fakten, über die er dennoch Tränen vergießt.

GÜNTER GRASS: BEIM HÄUTEN DER ZWIEBEL. STEIDL. 24 EURO.

Schön rundreisen mit Jazzamor

Jazzamor: Travel
Jazzamor: Travel

Von Brasilien bis Tibet, von Frankfurt am Main bis in die Antarktis entführt das Easy-Listening-Duo Jazzamor die Hörer auf seinem dritten Album. Travel heißt das Stück dann auch völlig zurecht. Die 16 Tracks von Bettina Mischke und Roland Grosch schaffen es, sowohl die einwandfreie Hintergrundmusik zum Abhängen an heißen Tagen zu liefern, als auch musikalisch zu überraschen.

Easy-Listening klingt für viele nach Fahrstuhl-Musik und lästigem  Hintergrundrauschen beim Einkaufen. Doch jazzamor bieten mehr. Zum einen sind da die wirklichguten Texte. Wann ist es Liebe bringt die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor der Zurückweisung auf den Punkt. Hier kommt die Melancholie, die das gesamte Album trägt, besonders gut zum Tragen. Travel in Order not toarrive schildert ebenfalls diesen Zwischenraum, der von der Angst des Daseins und der Melancholiedes Nicht-Daseins gefüllt ist, wie er das Reisen oft begleitet.

Musikalisch bietet jazzamor einen Mix aus den Rhythmen der Welt. Moll-Töne dominieren, und so treibt der Hörer über die Tracks. Gepackt von der Stimme Bettina Mischkes, die ein trauriger, aber treuer Begleiter auf dieser Reise ist.

Hui Buh spukt auf einem Sampler

Hui Buh
Hui Buh

Achtung bei Hui Buh-CDs. Es gibt nämlich zwei. Da ist zum einen der Soundtrack. Zum anderen gibt es diesen feinen Sampler: Music inspired by Hui Buh. Auf ihm sind auch Songs aus dem Film – vor allem aber ist dieses Album ein richtig feiner Mix für den Sommer.

Culcha Candelas Titelsong des schrägen Films Follow me ist natürlich genauso drauf, wie Gentlemans n we go, das für den Film entstand. Diese Lieder geben den Stil des ganzen Albums vor. Hui Buh mag offensichtlich Musik, die sich an Ragga, Reggae und Dancehall orientiert. Sam Ragga Band feat. Jan Delay stimmen denn auch Die Welt steht still an. Und Seeed mit dem Ding findet sich ebenso darauf wie die Ohrbooten, Shaggy, Patrice und Mustafa Sandal feat Gentleman.

Das alles hat mit dem Film nicht viel zu tun. Es handelt sich eher um einen Marketing-Gag, wenn Musik auf einer CD zusammengestellt wird, die sich ein Gespenst, das aussieht wie Michael Bully Herbig vielleicht ganz gern anhören würde. Aber die Macher haben  zumindest guten Geschmack bewiesen. Ganz nebenbei werden dadurch sämtliche  Sommerhit-Sampler überflüssig. Alles Gute, ist hier drauf. Plus akustischen Pannen
vom Filmset!

Hustle & Flow: Die Geschichte eines Rappers

Hustle & Flow schafft es, die Geschichte eines Rappers zu erzählen, ohne kitschig zu werden und ohne die Gewalt im Ghetto zu verherrlichen. DJay ist ein kleiner Zuhälter und Dealer. Im Fernsehen sieht er einen zu Ruhm gekommenen HipHopper, der einst an der
Nachbarschule als DJ auflegte.

Das bringt ihn ins Grübeln. Das Treffen mit dem ehemaligen Klassenkameraden, der ein Mini-Tonstudio hat, wird der Auslöser, endlich selbst Texte zu schreiben und einen Song aufzunehmen. Dieser Song bekam 2006 soger einen Oscar als bester Titelsong. Und das Publikum des einflussreichen Independent-Festivals Sundance 2005 wählte Hustle & Flow
zu Recht zum besten Film. Das von John Singleton (Vier Brüder) produzierte und von Newcomer Craig Brewer humorvoll inszenierte Drama zwischen Krimi und Musikfilm
überzeugt mit guten Darstellern, authentischer Atmosphäre und einer feinen Story.